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Wer jetzt kein Haus hat

Mieterverein prophezeit neue Wohnungsnot in Hamburg. Es gebe immer weniger Sozialwohnungen für immer mehr Bedürftige: Senats-Konzept der wachsenden Stadt sei „mieterfeindlich“

von SVEN-MICHAEL VEIT

Ein Blatt vor den Mund hat Eckard Pahlke noch nie genommen. Auch gestern nicht: Das „leere Gerede dieses glorreichen Senats“ über sein Konzept der „wachsenden Stadt“ führe Hamburg direkt „in die Wohnungsnot“, prognostizierte der Vorsitzende des Mietervereins zu Hamburg gestern. Das Einzige, was in der Hansestadt wachse, sei „der Mangel an bezahlbaren Wohnungen“. Wenn nicht rasch „der Wohnungsbau wieder einen hohen politischen Stellenwert“ erhalte, drohe „eine Katastrophe“. Aussichten, die Pahlke mit Zahlen und Fakten zu untermauern verstand.

382.000 und damit 42 Prozent aller Hamburger Haushalte seien aufgrund geringer Einkommen berechtigt, eine Sozialwohnung zu beziehen, zitierte Pahlke aus einer vertraulichen Drucksache der Baubehörde. Der Bestand an diesen Wohnungen aber werde in den nächsten Jahren auf unter 100.000 sinken, weil viele nach Auslaufen der öffentlichen Förderung auf den freien Markt kommen – „und dann natürlich zu höheren Mieten“.

Zugleich liefen kurzfristig mehrere Schutzverordnungen aus, zum Beispiel der Kündigungsschutz für Mieter nach einem Verkauf ihrer Wohnung sowie mehrere soziale Erhaltungssatzungen für Milieustadtteile. In der südlichen Neustadt rund um den Michel ist diese Sperre gegen Spekulanten bis zum Jahresende befristet. „Da muss der Senat endlich handeln“, fordert der Mieterverein, „sonst wird ein Stadtteil der Spekulation geopfert, und die Mieter werden vertrieben.“

Wesentlichste Gegenmaßnahme sei deshalb die Errichtung von deutlich mehr Sozialwohnungen. „Hamburg braucht jährlich mindestens 6000 neue Sozialwohnungen“, hat der Mieterverein errechnet. Gegenwärtig würden jedoch, so habe das Statistische Landesamt für das Vorjahr belegt, nur etwa 4500 Wohnungen jährlich errichtet, davon nur 1800 im sozialen Wohnungsbau. Erforderlich sei zudem, die öffentlichen Fördermittel für Instandhaltungen wieder zu erhöhen. „Bis zu 200.000 Altbauwohnungen drohen zu verkommen“ binnen der nächsten 20 Jahre, befürchtet der Mieterverein, wenn kein Geld für Modernisierungen bereitgestellt würde. Das alles sei, so Pahlke, „eine gigantische Fehlsteuerung“.

Die Baubehörde sieht das anders. Pahlke solle „die Kirche im Dorf lassen“ kommentierte Bausenator Mario Mettbach (Schill). Die Verlängerung des Schutzes für die Südliche Neustadt um zunächst zwölf Monate sei zudem bereits „in Vorbereitung“, ergänzt Behördensprecherin Claudia Eggert. Nach Auswertung einer empirischen Erhebung im Quartier könne somit im nächsten Jahr in Ruhe eine grundsätzliche Entscheidung getroffen werden. Von einer drohenden Wohnungsnot zu reden, so Mettbach, sei „abwegig“.

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