nebensachen aus rom: „Repubblica delle banane“: Systemkritik bleibt den Italienern vorbehalten
„Hier kann man ganze Vormittage damit verbringen, auf der Post eine Einzahlung vorzunehmen. Zwei Stunden habe ich Schlange gestanden, aber der Gipfel kommt noch. Ich bin gerade dran, da schließt der Postangestellte direkt vor meiner Nase den Schalter, murmelt was von Feierabend, und ich solle halt morgen wiederkommen. Unglaublich! Wir sind das einzige Land in Europa, in dem solche Zustände herrschen!“
Wie ein Rohrspatz schimpft der italienische Bekannte. Die Post, die Banken, der Fiskus, die Kfz-Versicherungen, die Eisenbahn, aber auch die Autobahnen, deren Maut immer teurer wird „ohne jede Gegenleistung von diesen Abzockern“, die Stadtverwaltung, die Regierung sowieso. Das vernichtende Resumee: Italien sei halt eine „Repubblica delle banane“, eine Bananenrepublik, meilenweit entfernt von europäischen Standards.
In Italien lebende Ausländer kennen solche Tiraden, hören die Sprüche im Bekanntenkreis, lesen sie in den Leserbriefspalten der großen Tageszeitungen. Und mancher Zugereiste nimmt die Ausbrüche allzu schnell als Einladung zum Mitmachen. Die Vorortzüge sind eine einzige Katastrophe, meckert ein Römer, und der deutsche Gesprächspartner sattelt wortreich drauf: unpünktlich, überfüllt, im Sommer brütend heiß, im Winter schweinekalt, und die Klos waren auch alle zugesperrt, als er letztes Mal raus aufs Land gefahren ist. So überzeugt ist der Deutsche, mit dem römischen Kumpel auf einer Wellenlänge zu meckern, dass er gar nicht die sich immer stärker runzelnden Augenbrauen seines Gegenübers wahrnimmt. Also macht er fröhlich weiter, erzählt von den modernen Nahverkehrszügen, die zu Hause in Deutschland sein Herz höher schlagen lassen. Da reicht es dem Italiener endgültig: Dafür sei die Bahn in Deutschland eben schweineteuer. „Was soll ich mit einer schicken Bahn, die ich mir gar nicht leisten kann?“, giftet er zurück, nun plötzlich stolz auf die preiswerten Beförderungsmittel zu Hause.
Genau das – so will es der Schimpfknigge – hätte der Deutsche sagen müssen: Okay, die Bahn war dreckig, aber wenigstens ist sie echt billig bei euch, und in Deutschland fahren die Züge sowieso auch immer unpünktlicher. Vor einigen Jahren behauptete der Korrespondent eines großen deutschen Nachrichtenmagazins zum Beispiel, Italien habe eine Post „wie in Mali“. Das hätte er besser nicht getan: Zwar schreiben der Corriere della Sera oder die Repubblica laufend Vergleichbares, aber als das unschöne Urteil in der deutschen Gazette stand, hagelte es wütende Stellungnahmen führender Politiker in Rom ebenso wie entrüstete Zeitungskommentare.
Geißeln dürfen sich halt nur die Italiener selber – dann aber gründlich. Das mit der Bananenrepublik Italien ist steigerungsfähig, zum Beispiel mit der beliebten rhetorischen Figur, die Gleichsetzung Italiens mit irgendwelchen Karibikstaaten sei eine Beleidigung – für die wirklichen Bananenrepubliken nämlich. Und wie schlecht es um die Nation bestellt ist, macht noch jeder Kritikus mit der oft genug kenntnisfreien Behauptung deutlich, Italien sei „das einzige Land in der EU/ in Europa/weltweit/im Sonnensystem/im Weltall“, in dem die Rundfunkgebühren hoch sind/in dem das Gesundheitswesen immer schlechter wird/das nicht in seine Zukunft investiert/in die Rentner verarmen/das der Jugend die Chancen verbaut, weil die Alten zu hohe Renten kriegen. Wie sagte mir kürzlich eine Freundin? „In Italien liebt man es halt, den eigenen Laden immer abgrundtief schlecht zu reden.“ Ein kurzer Blick zu mir, und was jetzt kommen musste, wusste ich schon: „Wir sind das einzige Land auf der Welt, das sich selbst so runter macht.“ MICHAEL BRAUN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen