„Financial Times Deutschland“: Vom Dauersound des Untergangs

Chaotisch, frech, pluralistisch – und wahnsinnig kreativ. Im Grunde war die Wirtschaftszeitung „FTD“ der taz verdammt ähnlich. Eine Erinnerung.

Auch Angie hat sie gelesen. Bild: dpa

BERLIN taz | Manche sind noch gekniffener. So mein ehemaliger Kollege Markus Schmidt (Name geändert). Er arbeitete fünf Jahre bei der Financial Times Deutschland. Dann trat er am 1. Oktober seinen neuen Job bei der Nachrichtenagentur dapd an. Am 2. Oktober ging der neue Arbeitgeber in die Insolvenz. Jetzt droht ihm die Kündigung. Schmidt erhält wohl keine Abfindung. Zurück kann er auch nicht mehr.

Am Hamburger Baumwall, dem Verlagshaus von Gruner + Jahr, trägt man Schwarz. Es ist ein Drama. Aber die Kollegen der G + J Wirtschaftsmedien bekommen das bitterböse Ende wenigstens finanziell halbwegs versüßt. Und Schmidt? Au weia.

Kling, kling, kling, kling. Wer genauer hinhörte, hörte die Sterbeglöckchen für die FTD, die erste Tageszeitungsneugründung seit der taz, schon seit langem läuten. Alle wussten ja, dass es nicht gut lief. Und trösteten sich damit, dass sie bereits unzählige Sparorgien und Umorganisationen und Schließungsandrohungen überlebt hatten. Die werden schon nicht. Oder?

Kling, kling, kling, kling. Auch wegen dieses Dauersounds des Untergangs ähnelt die FTD der taz. Und im Grunde ist das Blatt nicht weniger chaotisch, frech, pluralistisch und kreativ als die Zeitung an der Rudi-Dutschke-Straße. Viel ist derzeit zu lesen von den Wahlempfehlungen, die die Financial Times Deutschland als erste deutsche Zeitung druckte.

Gute alte angelsächsische Schule

Es gab auch welche für Schwarz-Grün! Und: Das war nie eindeutig, in der Konferenz wurde stundenlang debattiert. Wie überhaupt jeden Tag mit versammelter Truppe der Leitartikel ausbaldowert wird, der dann ohne Autorennamen erscheint. Angelsächsische Schule.

Als der Außenminister mal wieder nicht von seinem Job als Parteichef zurücktreten wollte, druckte die FTD eine mehrzeilige Überschrift à la Neues Deutschland auf Seite 1: „Einmütiger Zuspruch der Delegierten der Freien Demokratischen Partei Deutschlands für den Bundesvorsitzenden Dr. Guido Westerwelle“. Vizechefredakteur Stefan Weigel, der auch die Zeile „Leyendarstellerin“ für die amtierende Arbeitsministerin erfand, sagte dann: „Wieso denn? Ist doch unsere Zeitung.“

Jetzt gehört die Financial Times Deutschland wohl bald nicht mehr zu den zehn überregionalen Blättern im Land. Die Kollegen in fast allen Zeitungsredaktionen hören das Todesglöckchen nun noch etwas deutlicher läuten. Unendlich schade.

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