taz-Serie: Neue digitale Spielarten (2): Schafhirten in der U-Bahn

Handyspiele sind erwachsen geworden und längst keine Billigprodukte mehr. Inzwischen müssen auch Spielekonsolen um ihre Zukunft bangen.

Na, heute schon die Schafe gehütet? Bild: Screenshot

HAMBURG taz | Die Revolution kam in Form eines immer länger werdenden Balkens, der im Zickzackkurs auf ein kleines Quadrat zusteuerte. Damals brauchten Handybesitzer viel Phantasie, um das Geschehen auf dem Bildschirm als Schlange zu identifizieren, die Richtung Futter gesteuert wird. 1997 auf dem Nokia 6110 vorinstalliert wurde „Snake“ zum Hit. Und zeigte, dass Handys nicht nur zum Telefonieren geeignet sind, sondern auch zum Spielen. Immer mehr Telefone kamen mit dem Schlangenbeschwörerspiel auf den Markt, das eigentlich nicht neu war, aber erst auf dem Handy zum Kult wurde.

Handyspiele sind keine lieblos gestalteten Billig-Produkte für die lang belächelten Casual-Gamer mehr, denen manche Hersteller einst meinten, alles andrehen zu können, was simpel zu steuern ist. Casual-Gamer sind ebenso ausgestorben wie der pickelige Spielenerd. Zocken gehört zum Alltag, ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

„Wir haben jetzt eine veränderte Mediennutzung“, sagt Markus Kassulke, Geschäftsführer der Firma HandyGames. „Es gibt nicht mehr den klassischen Gamer. Mobile Spiele werden von allen gespielt. Eine Zielgruppe in dem Sinne existiert nicht“. Schließlich ist die Auswahl an Titeln riesig, fast schon unübersichtlich, alle Genres sind vertreten. Vom kleinen Geschicklichkeitsspiel bis hin zum Actiongame.

Zusammen mit seinem rund 50-köpfigen Team veröffentlicht Kassulke im beschaulichen Giebelstadt Spiele für Mobiltelefone und Tablet-PCs. Ihr Erfolgshit: das comic-artige „Clouds & Sheep“ mit rund 10 Millionen Downloads, für das kürzlich ein Update erschienen ist. Hier kümmern sich Hobbyhirten um eine Schafherde, versorgen sie per Fingertipp mit Regenwasser, Nahrung und Spielzeugen.

Das Steuern mit dem Finger per Touch Screen gehört für Kassulke zu einem der Erfolgsfaktoren moderner Mobilspiele. Keine Tasten merken, einfach drauftippen und hin- und herschieben. Bei simplen Spielkonzepten wie den bekannten „Angry Birds“ sehr intuitiv, bei komplexen, virtuellen Abenteuern mit vielen Steuerungsoptionen aber manchmal ein akrobatischer Akt.

Das Ende der Konsolen

Für Kassulke sind Mobilspiele der Markt der Zukunft: „Anfangs waren sie eine Nische. Mittlerweile haben sie die PC-Games überholt.“ Während vor zehn Jahren die Handyspielefirmen belächelt wurden, schauen diese nun fast schon mitleidig auf die Macher klassischer Spielarten. Ein Spiel für Android und IOS entsteht relativ kostengünstig in wenigen Monaten und erreicht schnell Download-Zahlen von mehreren Millionen.

Im Jahr 2011 waren 32 Prozent aller in Deutschland verkauften Spiele Games für mobile Endgeräte. In diesem Jahr sind es laut Branchenverband BIU bereits 41 Prozent. Während der 3,5 Millionen verkaufte Spiele für mobile Konsolen wie 3DS und Vita in diesem Jahr prognostiziert, sind es 10,8 Millionen Games für Mobiltelefone. Harte Zeiten für Handheld-Konsolen. Bei ständig wachsenden Funktionen und Leistung der Telefone verschwindet für manch einen Gamer der Anreiz, sich neben dem bereits vorhandenen Smartphone noch eine Minikonsole zu kaufen und mit sich herum zu tragen.

„Mobile Games werden die Handheld-Konsolen verdrängen“, so Kassulke. Das Erfolgsgeheimnis liegt vor allem im Preis. Während ein herkömmliches Spiel für Mobilkonsolen 30 bis 40 Euro kostet, sind für ein Handyspiel meist nur zwei bis fünf Euro fällig. Oder gar nichts.

Konstenpflichtige Extras

„Wir sind so erfolgreich, weil wir die Spiele verschenken“, so Kassulke. Freemium nennt sich der Trend. Das Grundspiel ist gratis, Extras kosten. Meist kleine Cent-Beträge, die durch die Masse große Gewinne bescheren. Eventuell vorhandene Werbung können Spieler ebenfalls kostenpflichtig abschalten. Auf Freemium setzten auch andere wie Spieleriese Electronic Arts mit seiner PC-Marke „Die Sims“.

„Als großer Hersteller kann man es sich schon fast nicht mehr erlauben, nicht in den Mobilmarkt einzusteigen“, so Kassulke. Die versuchen vor allem, mit ihren großen Serien beim Spieler zu punkten. Und mit der Tatsache, dass sich einige Mobilspiele mit der PC- oder Konsolenversion vernetzen lassen. Also unterwegs ein paar Punkte beim Autorennen erspielen und die dann an der Konsole zu Hause nutzen.

Kassulke sieht Mobilspiele als Games der Zukunft: „Die Konsole wird zur Nische“. Er glaubt, dass in einigen Jahren die Spieleregale im Elektromarkt viel leerer sein werden als jetzt. Ob auf Handy oder Computer: Softwaredownloads statt Boxen mit Discs sind für ihn der kommende Trend. „Die Konsole, die am meisten gespielt werden wird, ist der Tablet-Computer“, sagt Kassulke. Ob die provokante These eintrifft, wird sich vielleicht schon bald zeigen. Denn die Mobilspielebranche wandelt sich schnell. Laut Kassulke macht sie jedes Jahr eine 180-Grad-Drehung.

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