Spurensuche in Hamburg: Was vom Terror übrig blieb

Bevor sie die Flugzeuge ins World Trade Center steuerten, lebten Mohammed Atta und zwei weitere Todespiloten in Hamburg. Zehn Jahre danach erinnert nichts mehr an sie.

Ort der Radikalisierung: die Al-Quds-Moschee in Hamburg-St. Georg, Oktober 2002. Bild: Reuters

HAMBURG taz | Die Straße, in der Mohammed Atta wohnte, führt vom Harburger Zentrum weg den Berg hoch. Die Gehwegplatten sind schief, die Häuserfassaden lange nicht mehr gestrichen. "Atta? Wer ist das?", fragt die blonde Bedienung hinter dem Tresen des "Marieneck", gleich am Anfang der Straße. Ach, die Attentäter vom 11. September, ja, davon habe sie gehört, aber das interessiere niemand mehr.

Ein Tag nach den Anschlägen, als klar wurde, dass die Attentäter aus Hamburg-Harburg kamen, fielen Reporter in die dunkle Eckkneipe ein und stellten Fragen. Wie es so sei, Massenmörder als Nachbarn zu haben. Ob sie die Männer gekannt hätten. CNN war da und filmte, die Marienstraße war die ganze Nacht über hell erleuchtet. Polizisten vom FBI und vom BKA rückten an, aber sie fanden nichts. Die Attentäter hatten die Wohnung leer geräumt.

Lange wollte niemand in die Räume einziehen, in denen Mohammed Atta und seine Mitbewohner gelebt hatten. Im Oktober 2002 führten Kulturschaffende ein "Space-Cleaning" durch, bei dem die Berliner Künstlerin Katrin Glanz die Silhouetten der Besucher auf die Wände projizierte. "Die Besucher, die versuchten, Spuren zu finden, die eigentlich nicht mehr da waren, hinterließen so selber Spuren", sagt Glanz.

Geht man jetzt an dem Haus in der Marienstraße vorbei, erinnert nichts mehr an die ehemaligen Mieter. Die Jalousien der Wohnung sind heruntergelassen wie in den Nachbarhäusern auch. Ein Fenster steht offen, an der Wand sind Tierposter zu erkennen.

Es gibt noch ein paar andere Adressen in Harburg, an denen sich die Attentäter trafen. Vor der sogenannten "Baracke" der Technischen Universität, wo Atta eine "Islam-AG" abhielt, blinzeln an diesem Nachmittag Studentinnen in die Sonne. Drinnen zieht sich ein schmaler dunkler Gang durchs Gebäude, rechts und links gehen Türen ab.

"Sie kommen wegen 9/11", sagt ein Student und schaut von seinem Laptop auf. "Von mir erfahren Sie nichts." Die Tür zum Raum Nummer 10, wo Attas "Islam-AG" betete und agitierte, ist im selben Blau gestrichen wie die anderen Türen, sie ist verschlossen. Außen klebt ein Aufkleber von "Ingenieure ohne Grenzen".

Mohammed Atta und seine Mittäter waren nach Hamburg gekommen, um zu studieren, so viel steht inzwischen fest. Die Radikalisierung erfolgte später, unter anderem in der Al-Quds-Moschee in St. Georg. Die Moschee lag am Steindamm, auf der Seite, an der sich kleine türkische und arabische Geschäfte aneinanderreihen. "Es ging durch die Tür da die Treppe hoch", sagt ein Mann aus dem Bodybuilding-Studio nebenan, in seinen Händen hält er Gewichte. Mittlerweile sei der Eingangsbereich aber umgebaut worden.

Die Moschee, die sich später in "Taiba-Moschee" umbenannte, wurde im August 2010 von der Hamburger Innenbehörde geschlossen, doch die Muslime, die dort verkehrten, sind noch da. "Ich hab da den Islam angenommen", sagt ein ehemaliger Besucher, er soll hier Yussuf heißen. "Ich hatte mal nebenbei gehört, dass da mal jemand aus der Moschee was mit dem 11. September zu tun hatte, hatte deswegen auch so ein bisschen Skrupel, da reinzugehen, aber ich hab mir nicht allzu viele Gedanken darum gemacht."

Yussuf ist 36, vor vier Jahren ist er konvertiert. Die Moschee am Steindamm war seine Heimat. Yussuf ist das, was der Verfassungsschutz einen "Salafisten" nennt. Er selbst sagt, sie seien "Salafis", Muslime, die sich an den "Salef" orientieren, den ersten Gäubigen nach Mohammed. Weil im Koran steht, dass man sich den Bart nicht schneiden soll, lässt ihn sich Yussuf wachsen. Ansonsten fällt er nicht weiter auf in der S-Bahn, mit der er zum Freitagsgebet in eine andere Moschee fährt.

"Dadurch, dass man streng praktizierender Muslim ist, hat man nicht automatisch einen Vertrag mit den Taliban oder Al Kaida", sagt Yussuf. Dann fängt er an, die Taliban zu verteidigen. Sicher: Sie würden Fehler machen, "trotzdem ist das die breitest angelegte Widerstandsgruppe in Afghanistan, und die USA haben nicht das Recht, dieses Land anzugreifen".

Yussuf sagt, er sei nicht dafür, Anschläge in Deutschland durchzuführen. "Das ist erst mal falsch, islamisch gesehen, weil es verboten ist, im Krieg unschuldige Menschen zu töten, Frauen zu töten, Kinder zu töten." Auch die Anschläge vom 11. September hält er darum für falsch. Es gebe zwar Gelehrte, die sagten, dass man Frauen und Kinder ausnahmsweise doch töten dürfe, "wenn der Feind das bei uns tut", aber das sei nicht seine Ansicht.

Seinen Respekt haben dagegen diejenigen, die aus Deutschland weggehen, um in den bewaffneten Dschihad zu ziehen. "Es gehört schon viel Überwindung dazu, in ein Kampfgebiet zu gehen, wenn man ein gutes Leben hat", sagt Yussuf. Leute, die das tun, müssten einen starken Glauben haben. Und sie müssten mutig sein, "wenn man hört, was da so alles passiert".

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 war die Hamburger Al-Quds-Moschee vermutlich das am besten überwachte Gotteshaus Deutschlands. Dennoch konnte der Verfassungsschutz nicht verhindern, dass die sogenannte "Hamburger Reisegruppe" im März 2009 in das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet ausrückte. Die Männer der Gruppe hatten sich in der Moschee getroffen.

Hamburgs Verfassungsschutzchef Manfred Murck sagt, die Reisegruppe sei der "letzte Anlass" gewesen, die Schließung der Moschee zu betreiben. Davor hatte es in Hamburg immer geheißen, je mehr sich die radikalen Muslime an einem Ort versammelten, desto besser ließen sie sich überwachen. "Inzwischen glauben wir, dass es besser ist, die Szene zu zerschlagen", sagt Murck.

Nach der Schließung pilgerten einige der Taiba-Besucher zu einer Hinterhofmoschee nach Pinneberg, die dann aber von sich aus dicht machte - die Verfassungsschützer in Kiel hatten die Adresse der "Problem-Moschee" geoutet, das Medienecho war gewaltig.

Auch der Hamburger Verfassungsschutz nennt jetzt Adressen. Die größte Gruppe der ehemaligen Taiba-Leute treffe sich in der Taqwa-Moschee in Harburg, heißt es auf Nachfrage. Das verdächtige Gotteshaus liegt hinter der Phoenix-Fabrik, auf der anderen Seite der Autobahn. Über dem Eingang hängt ein Schild mit arabischer Inschrift, daneben eines auf Deutsch: "Die Gemeinschaft des Olivenbaumzweigs Harburg e. V.".

Der NDR hatte die ehemalige Kneipe bereits im Juni als "neuen Treffpunkt radikaler Islamisten" ausgemacht. Seitdem taucht zum Freitagsgebet regelmäßig die Presse auf oder auch mal ein Kamerateam.

"Glauben Sie nicht, was man Ihnen erzählt", sagt ein älterer Mann mit wirrem grauem Haar, der an der Tür erscheint. Er trägt Sandalen und eine Weste. "Alles Propaganda, islamische Propaganda, amerikanische Propaganda!" Er weist auf die Türschwelle: "Hier Grenze, das ist Haus Gottes, Kirche, verstehen? Nur Religion!"

Ein jüngerer Mann taucht auf, er trägt ein weißes Gewand und sagt auf Französisch, dass er aus Frankreich komme. Woher genau, will er nicht verraten. Im Inneren der Moschee liegt ein blauer Teppich, hinten im Gebetsraum hängen Gewänder an Haken, noch hat das Freitagsgebet nicht begonnen.

Auf der Straße fährt ein schicker Golf vor, ein Mann mit kahl geschorenem Kopf und Sonnenbrille steigt aus und beginnt zu schimpfen: "Das darf doch nicht wahr sein, wir leben in Deutschland!", ruft er erregt. "Von uns bekommen Sie keine Information! Wir haben nichts zu verbergen!" Er droht, einen Anwalt zu rufen und die Polizei.

In dem Fernsehbeitrag des NDR aus dem Juni, er lief im "Hamburg Journal", sind Männer zu sehen, die aus der Moschee kommen und vor den Kameras flüchten. Manche ziehen dabei ihre Jacke über den Kopf. Einige Szenen, die offenbar früheren Datums sind, spielen im Inneren, Gesichter sind unkenntlich gemacht. Ein junger Mann berichtet, er habe früher in der Taiba-Moschee gebetet. "Dann kommt der Vorbeter und bricht das Interview ab", heißt es in dem Fernsehbeitrag.

"Die haben uns heimlich gefilmt, dabei haben wir sie eingeladen und mit ihnen gegessen", sagt ein junger Mann, der aus der Moschee tritt. Seine Augen sind zu Schlitzen zusammengezogen, misstrauisch mustert er sein Gegenüber. "Das ist eine Sauerei."

Die Leute aus der Taiba-Moschee seien gar nicht hier, sagt er noch, dann muss er wieder hinein. Das Freitagsgebet beginnt.

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