„Er tötete den Drachen nicht“

taz: Herr Links, wenn von Wolf Biermann heutzutage als „sprechender Prostata“ die Rede ist, äußert sich darin die Enttäuschung über den Dissidenten, der zum Springer-Kolumnisten verkommen ist?

Christoph Links: Ich glaube, dass viele seine Egomanie nur noch schwer ertragen können: Dass er eine kulturpolitischen Zäsur in der DDR, die sich zufällig an seiner Person fest gemacht hat, nun als eine besondere Überhöhung seiner selbst wahrnimmt. Inzwischen scheint er geneigt, die Geschichte der DDR in die Zeit vor und nach seiner Ausbürgerung einzuteilen.

Biermann, der selbst ernannte Drachentöter – diese Lesart haben auch einige Medien übernommen.

Dabei hat er den Drachen wahrlich nicht getötet. Mitte der 70er Jahre hat Honnecker die relativ liberale Innenpolitik der Anfangsjahre mit einem deutlich diktatorischeren Konzept verändert. Da war die Ausbürgerung nur ein Ereignis von vielen: Im Jahr darauf wurde Rudolf Bahro eingesperrt, Stefan Heym verurteilt und der Hausarrest gegen Robert Havemann verschärft.

Warum war die Anteilnahme an Biermann so viel größer?

Mit der unüberlegten Ausbürgerung hat die DDR einen Protest selbst unter den bis dahin eher loyal agierenden Künstlern ausgelöst, wie sie ihn nie erwartet hätte. Deshalb musste sie staatlichen Gegenprotest organisieren – so schaukelte sich das gegenseitig hoch. Und Biermann konnte vom Westen aus laut reden – deswegen war er überlaut zu vernehmen.

Manche sagen, dass Biermann zuvor in weiten Teilen der DDR unbekannt war.

Er war vor allem in den linksintellektuellen Kreisen Ost-Berlins bekannt, schließlich hatte er schon als junger Mann Auftrittsverbot. Das änderte sich mit dem Rauswurf, der ja durch die Ausbürgerungen der NS-Zeit besonders symbolträchtig war.

Schätzten Sie seine Musik?

Er hatte schon eine sehr originelle Art mit dem Harmonium und der Gitarre und dem dialektisch doppelbödigen Spiel. Ich habe die Platten damals rauf- und runtergehört.

Überrascht es Sie, dass er zum CSU-Gast avanciert ist?

Das war so nicht abzusehen. Dass der Rausschmiss zu Zorn auf die DDR geführt hat, ist völlig nachvollziehbar. Aber vom emanzipatorischen linken Gedankengut muss man nicht gleich in die rechte Ecke hinübermarschieren.

INTERVIEW:
FRIEDERIKE GRÄFF