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Archiv-Artikel

Der vornehme Reformer Argentiniens

Trainer José Pekerman lebt vor, was er auch von den Spielern seiner Mannschaft verlangt: Selbstbeherrschung

HERZOGENAURACH taz ■ Er ist ein Herr, einer, dem man ansieht, dass er großen Wert auf Umgangsformen legt. Wenn er vor die Presse tritt, ist er nicht freundlich, aber höflich. Beantwortet er nach einem Spiel die Fragen der Journalisten, tröpfeln die Sätze ganz langsam aus seinem Mund. Jedes einzelne Wort scheint er abzuwägen, bevor er es ausspricht. Einzig das Zittern seiner Hände, der Schweiß auf seiner Stirn zeugen von seiner Angespanntheit. José Pekerman, der Trainer der argentinischen Nationalmannschaft, ist einer, der sich immer im Griff hat. Er lebt vor, was er von seinen Spielern verlangt: Selbstbeherrschung.

Um den Ruf des argentinischen Fußballs war es nicht allzu gut bestellt, als Pekerman Mitte der 90er-Jahre verantwortlicher Trainer der Juniorenauswahl wurde. Bei der U20-WM 1992 waren die argentinischen Fußballbubis vom Turnier in Portugal ausgeschlossen worden, weil sie wahre Prügelorgien veranstaltet haben. Dann kam Pekerman – und mit ihm das Benehmen. Der heute 56-Jährige musste den jungen Männern erst einmal beibringen, dass es nichts bringt, sich mit dem Schiedsrichter anzulegen. Er hat aus egoistischen Nachwuchsmachos Mannschaftssportler gemacht. Dreimal – 1995, 1997 und 2001 – führte er argentinische Mannschaften zum Titel bei U20-Weltmeisterschaften. Er ließ nicht nur ansehnlichen Fußball spielen, er hat seinen Spielern auch Fairness eingeimpft.

Natürlich hatte er auch das Glück, dass immer wieder außergewöhnliche Athleten in die Nachwuchsauswahl drängten. Javier Saviola, Juan Riquelme oder Juan Pablo Sorin, 14 der 23 WM-Spieler sind vom Jugendtrainer Pekerman mitgeformt worden, fußballerisch und charakterlich. Der Coach spielte die Vorbildrolle für die jungen Männer, von denen nicht wenige aus den allereinfachsten Verhältnissen stammen.

Der Nachkomme jüdischer Einwanderer aus der Ukraine musste zwar nie Not leiden, wohlhabend aber war sein Elternhaus nicht. Als Pekerman mit 28 Jahren wegen einer Knieverletzung seine Fußballerkarriere beenden musste, konnte er von der Familie keine Unterstützung erwarten. Er hat sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten. Viele Geschichten, die über diese Zeit in Argentinien veröffentlicht wurden, streifen die Wahrheit nur. Am liebsten erzählt man, dass Pekerman als Taxifahrer unterwegs gewesen sei, als Argentinien 1978 Weltmeister wurde. Dass er es lange Zeit schwer hatte, dass er aus eigener Kraft den Aufstieg zu einem weltweit anerkannten Fachmann geschafft hat – das immerhin ist eine Lebensleistung, an der sich die Nachwuchskicker der verschiedenen Jahrgänge orientieren konnten.

Ob er auch den Zugang zu gestandenen Profis finden könne, wurde lange Zeit in Argentinien bezweifelt. Als er vor der WM entschied, Martin Demichelis vom FC Bayern und Inter Mailands alternden Strategen Juan Sebastian Veron nicht für das WM-Aufgebot zu nominieren, meldeten sich die altklugen Fußballgurus zu Wort, die seit der Amtsübernahme Pekermans 2004 nicht müde werden, den Nationaltrainer zu kritisieren. Doch auch die Kritik der ehemaligen Weltmeistertrainer Cesar Luis Menotti und Carlos Bilardo an seinem Aufgebot ließ Pekerman kalt. Er lehnt es grundsätzlich ab, deren Einlassungen zu kommentieren.

Menotti und Bilardo stehen für zwei völlig unterschiedliche fußballerische Ansätze. Während Menotti bis heute als Hohepriester des schönen Spiels verehrt wird, gilt Bilardo als Wegbereiter für den körperbetonten Fleißfußball. Die Auftritte von Pekermans Mannschaft lassen ahnen, dass er eine Symbiose aus den beiden Weltmeistersystemen anstrebt. Die fußballerisch stärksten Akteure wie Spielmacher Riquelme oder Reserve-Star Lionel Messi genießen zwar Freiheiten, müssen sich aber einordnen in ein System, das von Ballbesitz und sicherem Passspiel geprägt ist.

Geübt für dieses System wird in Herzogenaurach mit der aktuellen U20-Mannschaft Argentiniens, die als Sparringspartner nun schon mehrere Wochen in Deutschland weilt. Pekerman versteht sich als wahrer Reformer. Natürlich will er den WM-Titel. Den muss jeder argentinische Trainer wollen. „Wir müssen alle Spiele gewinnen“, antwortet er auf die Frage, wie er das anstellen will. Ein höfliches Lächeln umspielt seine hageren Züge, während seine Hände nervös ein Mikrofonkabel bearbeiten. ANDREAS RÜTTENAUER