: Eine Aufforderung zum nächsten Freudentanz
Der Polizeipräsident zählt in seiner 1.-Mai-Bilanz gar kaputte Helme auf. Weil kaum mehr passiert ist, freuen sich alle über gelungene Deeskalation. Innensenator bittet zum friedlichen Protest – am 8. Mai gegen die NPD
VON PLUTONIA PLARRE UNDKATHARINA HAMMERMANN
Dass er so kleinlich sein kann, hat man Polizeipräsident Dieter Glietsch gar nicht zugetraut: Kleinere Schäden an vier Einsatzfahrzeugen und einer Videokamera, ein beschädigtes BVG-Wartehäuschen, vier demolierte Pkws und „ein paar“ kaputte Einsatzhelme, so Glietschs Bilanz der Sachschäden vom vergangenen Wochenende. Wenn die Polizei nach einer Walpurgisnacht und einem 1. Mai Muße hat, die Beulen an ihren Helmen zu zählen, dann muss wirklich etwas anders geworden sein.
Eine Mischung aus gut organisiertem Straßenfest mit über 15.000 Besuchern, die bis spät in die Nacht feierten, und eine besonnen agierende Polizei haben dazu beigetragen, dass der 1. Mai 2005 nicht in den üblichen Krawallen endete.
Dem Mariannenplatz sah man gestern nicht mehr an, dass er in der Nacht zuvor noch Festmeile war. Am Feuerwehrbrunnen zogen die Veranstalter des Myfests Bilanz. Sie wirken erschöpft und glücklich. „Am frühen Abend habe ich ein kleines Mädchen gesehen, das seelenruhig spielte. Auf dem Heinrichplatz!“, schwärmt Bezirksbürgermeisterin Cornelia Reinauer (PDS).
Das Geheimnis der ungewohnten Friedlichkeit liege vor allem darin, dass das Fest von den Bewohnern des Kiezes mitgetragen wurde, glaubt die Koordinatorin des Myfests, Silke Fischer. Rund 65 Vertreter fast ebenso vieler Vereine und Organisationen hätten daran mitgewirkt, dass die Ideen für einen friedlichen 1. Mai direkt aus den Häusern im Kiez auf die Straße kommen. „Kreuzberger HipHopper, Christen, Rocker, Punks, Skas, Ethnos etc. – alle nebeneinander, ohne sich bekämpfen zu müssen“, freut sich die Koordinatorin. Das sei kultureller Reichtum zum Genießen.
Auch der Polizeipräsident ist zufrieden. Mehr noch. „Wir sind auch ein wenig stolz“, bekannte Glietsch gestern. Das Konzept der ausgestreckten Hand und das konsequente Einschreiten gegen Störer habe noch besser als in den Vorjahren funktioniert. Die Verbindung von Myfest und Polizeitaktik „hat sich ausgezahlt“, freute sich auch Innensenator Ehrhart Körting (SPD). „Die Kreuzberger haben Randale satt.“ Besonderes Lob zollte der Innensenator den Migrantenverbänden, die mäßigend auf die eigene Jugend eingewirkt hätten. Im Vorjahr seien viel mehr türkische und arabische Jugendliche auf der Suche nach Randale unterwegs gewesen.
Anders die Autononen. Mit der Absage ihrer für 18 Uhr geplanten Demo hatten sie im Vorfeld für Furore gesorgt und zu einer Spontandemo auf dem Myfest aufgerufen, um gegen ein aus ihrer Sicht „De-facto-Verbot“ ihrer Demo zu protestieren. Die Versammlungsbehörde hatte ihnen wegen des Myfests eine Route zugewiesen, die sie weit aus dem SO-36-Kiez hinausführt. Mit der Spontandemo, die 200 Meter vor dem Springer-Gebäude mit einem demolierten Opel endete, wollten die beiden Gruppen auf ihrer gestrigen Bilanzpressekonferenz plötzlich nichts mehr zu tun haben. „So in dieser Form war die Demo von uns nicht gewollt“, sagte Sprecher Gunnar Krüger von der Gruppe B.A.N.G. Er selbst will zu der Zeit in Polizeigewahrsam gewesen sein und überhaupt keinen Einfluss auf die Demonstranten gehabt haben. Aber nur von der Route distanziere man sich, nicht von der Demo an sich, ergänzte eine Sprecherin von den Sternburgbrigaden.
Der Innensenator schaut nun schon voraus – zum 8. Mai. Er rechne mit „gewalttätigen Gegendemonstrationen“ gegen den NPD-Aufmarsch, bekannte Körting. Aufgabe der Polizei werde es sein, die beiden Gruppierungen auseinander zu halten. Aber dann rührte er selbst die Mobilisierungstrommel: Je mehr Bürger sich zum friedlichen Protest „ans Brandenburger Tor und anderswohin“ begeben, um „so größer ist die Chance, dass man Gesicht zeigt“. Ob der NPD-Aufzug angesichts vieler Gegendemonstranten überhaupt noch durchgeführt wird, wollte Körting gestern nicht sagen. „Das wird man am 8. Mai sehen.“
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