vonWolfgang Koch 08.10.2007

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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In weissen Phase Wiens, Teil II, meldet sich lauthals bereits das Rote Wien zu Wort. Rot, das heisst ziegelrot wie die Mauern der Zinskasernen, und puterrot wie die im Wortduell erglühenden Köpfe.

Als sich 1868 eine Arbeiterdemonstration für Vereins- und Versammlungsfreiheit, für Pressefreiheit und Wahlrecht stark macht, wird den Anführern der Hochverratsprozess gemacht.

Aufgrund der Wohnungsnot umfasst die Anzahl der Untermieter und »Bettgeher« 1869 bereits ein Viertel der Wiener Bevölkerung. (Behaupten Sie nicht diese Zeiten seien Gott sei dank längst vorüber! Heute schlafen illegale Afrikaner in den Wohnheimen im Akkord, um sich den Preis leisten zu können. Für eine Matratze muss bis zu 160 Euro im Monat bezahlt werden).

Mehr als 55 Prozent der Stadtbewohner besitzen in den Siebzigern des 19. Jahrhunderts keine eigene Wohnung. Unablässig verteuern sich die Baukosten. Wien ist zu klein.

1871 fordert der Gemeinderatskandidat Julius HIRSCH: »Wir haben Handelsverträge mit China, Japan und Siam, aber nach Sechshaus können wir nicht ungehindert Geschäfte machen, und wenn die Vereinigung nicht bald geschieht, so wird es notwendig sein, mit Sechshaus einen separaten Handelsvertrag zu machen.«

Was unter der Schaffung von Gross-Wien im Landhaus diskutiert wird, ist vor allem der Versuch endlich die unterschiedlichen Stadtort- und Lebenshaltungskosten innerhalb und ausserhalb des Linienwalls unter einen Hut zu bringen. Die klassische Funktionsteilung zwischen Kernstadt und Aussenzone begünstigt aber nur den Wunsch nach Selbstständigkeit der Vorstädte.

Politisch gerät einiges in Bewegung. Die auf der äusseren Linken positionierten Wiener Demokraten nehmen von 1873 an die Interessen des Mittelstandes wahr. Sechs Jahre später verlieren die Liberalen ihre Mehrheit im Abgeordnetenhaus. Ohne Bündnis mit den Linksklubisten, den Fortschrittlern, den Zentristen und den Wiener Demokraten, den Steirer, Polen und Tschechen haben sie kein Gewicht mehr.

Der Vorhang im Schmerlingtheater geht hoch und es erscheinen drei Figuren zum Spiel: der Christlichsoziale, der Arbeiterführer und der Nationalist.

© Wolfgang Koch 2007
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