vonWolfgang Koch 01.10.2007

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hat Wien einen Herrgott: Karl LUEGER, dessen Machtinstinkt so weit in die Zukunft reicht, dass er die Friedhofskirche am kommunalen Zentralfriedhof nach dem Pestheiligen Karl Borrömäus benennen lässt.

Die raffinierte Rechnung geht auf. Die Krypta der der Karl-Borromäus-Kirche wird Luegers letzte Ruhestätte, ein Karl steht für den anderen, und die Wiener Bevölkerung nennt in Folge der bewussten Vermischung der Namen das Gotteshaus mit der ägyptisierenden Fassade bis heute »Lueger-Kirche«.

Nach den Wahlsiegen Luegers und seiner christlichsozialen Partei geht die Führung der Stadt vom reichen Grossbürgertzum auf den kleinbürgerlichen Mittelstand über.

Die ständische Konstruktion der heutigen Volkspartei (ÖVP) kann nicht verdrängen, dass ihre ideologischen Wurzeln tiefer hinabreichen als zum Autoritarismus eines DOLLFUSS oder zum Scharfmacher Ignaz SEIPEL. Natürlich ist der Antisemit Lueger heute kein wirklich herzzeigbares Idol mehr, aber es wäre sträflich seine Verdienste zu leugnen.

Was tun die Christlichsozialen? Sie brechen das liberale Tabu der Nichteinmischung der Stadt in das wirtschaftliche Geschehen! Lueger führt wichtige kommunale Betriebe aus einer problematischen Auslandsabhängigkeit in das Eigentum der Stadt über. Er entreisst Gas und Elektrizität dem Wucher von Privatunternehmer; seinem Wirken sind die Einrichtung der Zentralssparkasse, die soziale Fürsorge, das Altersheim Lainz und die Anstalt Am Steinhof zu verdanken.

Karl Lueger fügt den liberalen Autonomiebestrebungen von 1848, 1862 und 1890 die Idee des Gemeinde-Sozialismus hinzu. Die Strassenbahnbetriebe werden gemeindeeigen. Am 18. Juli 1866 geht die Hochquellenwasserleitung zur die Trinkwasserverorgung als »das grösste Friedenwerk, welches jemals von einer deutschen Gemeinde unternommen wurde« in Bau.

Sechs Jahre später, 1873, als Franz LANDTMANN das bisher eleganteste Kaffeehaus der Residenzstadt eröffnet, geht die Hochquellwasserleitung zugleich mit dem Zentralfriedhof in Betrieb. Seither wird zu jeder Melange ganz selbstverständlich ein Glas Wasser serviert in Wien.

1907 gründet Lueger die Zentralsparkasse. Dazu Lagerhäuser, Kinderspitäler und das städtische Krankenhaus.

Man könnte sagen: Die klerikale Partei Luegers repräsentiert vor dem Weltkrieg jene Mehrheit an Wählerzustimmung, die nach dem Krieg den Sozialdemokraten zufällt. Und die Christlichsozialen schreiben Verdienste, für die sich später stolz das Rote Wien auf die Brust klopft.

Alle Lueger nachfolgenden Bürgermeister sind Luegerianer, oder wollen es wenigstens sein. Hitler wird von der Genialität des »gewaltigsten deutschen Bürgermeisters aller Zeiten« sprechen. Dabei richten sich Luegers Massnahmen ausdrücklich auch gegen die fanatischen Preussenfreunde. Den Angestellten der Stadt Wien nimmt er das Gelöbnis ab, nie einem sozialdemokratischen oder einem alldeutschen Verein anzugehören.

Mit Beginn der Achtziger wird der Deutschnationalismus zu einer eine beachtlichen Kraft, doch Völkische und Nationale, Gross- und Kleindeutsche liegen sich ununterbrochen in den Haaren. Entlang der Gleise der Airport-Bahn finden sich heute noch Grenzsteine mit der Aufschrift WSB: Wien-Saloniki-Bahn, dem Renommierprojekt der alldeutschen Bewegung.

Der Rechtsruck der Liberalen in Richtung Obrigkeitsstaat und Deutschtümelei treibt übrigens die seltsamensten Blüten hervor. Schönerer, der die »Pressfreiheit« für Reichstagsreden erkämpft, ist der erste, der 1881 »die Anlegung von Strafkolonien zur Unterbringung und Beschäftigung gemeinschädlicher Menschen« verlangt. 1881 … Konzentrationslager … am besten in den annektierten Ländern Bosnien und Herzegowina.

Lueger führt zum Ende des Jahrzehnts einen leidenschaftlichen Feldzug gegen die beabsichtigte Einverleibung der Vororte. Der NÖ-Landtag ist für die Wiener Wahlordnung die gesetzgebende Körperschaft. In diesem verfügt die CSP über eine so kompakte Mehrheit, dass sie jede ihr unangenehme Reform verhindern kann.

© Wolfgang Koch 2007
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