vonWolfgang Koch 17.09.2007

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Wir stehen vor der Wende in der Epoche des Weissen Wien. Zur stärksten Kraft innerhalb des antiliberalen Eisernen Ringes wird die Christlichsoziale Partei.

Was hält diesen Ring denn zusammen? Auch die Stadt selbst wird bekanntlich von breiten Bändern zusammengehalten: dem Ring, der Zweierlinie, dem Gürtel. Über jedes dieser Verkehrsrelais wachen Kasernen und Gefängnisse. Als 1865 die Ringstrasse eröffnet wird, sind die meisten Bauvorhaben noch nicht einmal begonnen. Die erste Pferdetramway Europas trabt vom Schottentor nach Hernals.

Wir lesen in heutigen Reiseführern: »Die Via triumphalis entstand im Spannungsfeld von habsburgischer Restauration und grossbürgerlichem Liberalismus«. Wir hören von City Guides: »Die Wiener Ringstrasse ist die vielleicht grösste städtebauliche Leistung, die neben der Umgestaltung von Paris in einheitlicher und planmässiger Weise durchgeführt wurde«.

Grosse Worte, mon ami! Monsieur HAUSSMANN hat das mittalterliche Paris beseitigt, er hat die Dominante der Alleen und die Mietskasernen in die Stadt eingeführt: gradlinige Strassenzüge mit mehrgeschossigen Wohn- und Geschäftshäusern gleicher Höhe, überdachte Galerien im Erdgeschoss und eine dem Rang der Strasse in der städtischen Hierarchie angemessene Fassadengestaltung. Als beste Adresse in der Seinestadt gilt die Uferstrasse, der 250 Meter breite Boulevard de la République.

In Wien fallen die Preschen, die in das Häusermeer geschlagen werden, nicht sternförmig aus wie in Paris. Hier werden die grossen Avenüen ringförmig um einen Kern gelegt. Doch genau wie bei Haussmann dient diese Stadtgestaltung nicht allein der bürgerlichen Ergötzung und dem Dandytum. Sie schafft Einfallschneissen für die Truppen in die unruhigen Arbeitervorstädte. Am Ring rücken die Polizeikräfte der Rossauerkaserne aus, auf der Zweierlinie liegen das Landesgefängnis und die Stiftskaserne, und über den Gürtel wachen die Heerestruppen des Arsenals.

1866 ruht die Dynastie bereits auf Klystieren. Dazu hat es keines Kuhhandels mit Ungarn mehr bedurft; der Nationalitätenkonflikt mit den Ungarn ist ein hochgepushtes Problem. Entsprechend hat der neue Doppelstaat Österreich-Ungarn vor allem zur Folge, dass auch die die übrigen Länder und Provinzen nach verfassungsmässigen Zuständen rufen.

Am 10. Juli erscheint der Bürgermeister mit einigen Gemeinderäten vor dem Kaiser, um die Erklärung Wiens zur offenen Stadt zu erbitten. Zudem wünschte man »staatsrechtliche und politische Änderungen«, die geeignet wären »die Gemüter auch für die Zukunft zufriedenzustellen«.

Der Kaiser sieht darin nichts als Feigheit. Wien, seine Bürger, seine Elite müssen zu einem härteren Geschütz greifen.

Der kommende Mann heisst Karl LUEGER, der »gefürchtete Volkstribun von der Landstrasse«, wie Historiker schreiben. Wie HITLERS Vorbild Georg Ritter SCHÖNERER kommt Lueger von den Ordoliberalen her. Sein Ausspruch, er sei schwarzgelb bis in die Knochen, ist ebenso verbürgt wie die Abneigung des mittelalterlichen Bürgermeisters VORLAUF gegen die Dynastie.

Luegers antiliberale Opposition richtet sich gegen ein Kurienwahlsystem, das zu unhaltbaren Zuständen geführt hat. Die Hauszinssteuer zum Beispiel, die von den Mietern aufgebracht wird und vom Hausherrn eigentlich nur abzuliefern ist, sie eröffnet der Hausherrn-Clique Eingang in die Kurie. Mit solchen Missständen will der christlichsoziale Populist aufräumen. Und das gelingt ihm auch.

© Wolfgang Koch 2007
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