vonWolfgang Koch 16.08.2007

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Wieso hält sich das Schwarze Wien so lange an der Macht? Kennen die Habsburger ein Herrschaftsrezept, lesen die Kaiser und ihre Minister in einem geheimen Brevier, das ihren Gegnern verborgen bleibt?

Tatsächlich unterscheidet sich das habsburgische Diktat ja wesentlich von dem der Babenberger und anderer Familien, die ihren Fuss nach Wien gesetzt haben. Das Neue ist: Jeder Untertan der Donaumonarchie kann mit mehreren Instanzen der Obrigkeit in Konflikt geraten. Entsprechend sympathisiert er immer mit einer Seite der herrschenden Macht gegen eine andere.

Beispiel Wien: Die Städter zersprageln sich zwischen Landesfürsten und Kaisertum, lehnten sich mal auf die eine Seite, mal auf die andere, um mehr Freiheiten herauszuschinden. Am Ende aber tun sich die erlauchten Majestäten und Herzöge wieder brav zusammen, und alles bleibt beim Alten.

Divide et impera! – So lautet die wichtigste Regierungsformel bei Hof; und sie ist auch das einzige Römische am »Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation«, wie dieses Konglomerat von eroberten und erheirateten Ländern unter der deutschen Kaiserkrone heisst.

Teile und herrsche! – Mit diesem Hexeneinmaleins konjugiert und dekretiert die Dynastie ihr Reich so gut, dass es 700 Jahre hält, bevor es dann im Weltkrieg den halben Globus mit in den Untergang reisst.

Da jeder Untan seiner Natur nach verschiedene Interessen verfolgt (er ist vielleicht Fischer in Istrien, er gehört dort der italienischen Volksgruppe in einer mehrheitlich kroatischen Stadt an, er ist männlich, hetero, wehrpflichtig, usw.), da jeder Untertan also verschiedene Lebenszwecke zugleich verfolgt, brauchen die Mächtigen nichts weiter zu tun, als sämtliche im Land widerstrebenden Bemühungen hübsch gleichmässig zu fördern. – Schon hat man den schönsten Palawatsch beinander!

Die noblichen Leut’, sie verschränken die Arme, sie reisen in Kutschen und später in Zügen umher, sie errichten Paläste und Kirchen, sie vergnügen sich auf tausenderlei Art, während ihnen die Leute auf den Feldern, die sie vom Fenster aus sehen, wie Tiere vorkommen.

Nimmt man nur die kleinste Zahl von Kontahenten (etwa den italienischen Fischer und seine kroatische Nachbarin), hat man schon ein sattes Chaos von Sympathien und Antipathien beisammen. Fördert die Obrigkeit diese gegenseitigen Verstrickungen, wird sich ein Dummkopf schwerlich davon frei machen können.

Und so nickt der Hof gefällig, als sich der Stadtadel Rechte gegen den Landadel erbittet; die Mandarine und Kanzlisten husten in Taschentuch, wenn Christen Juden verfolgen; der Kaiser bedauert es ausserordentlich, dass die Städter über die Steuerlast klagen, die ihnen die Herzöge auferlegen – »Aber was lässt sich schon dagegen machen!«

Dass sich im Lauf der 700 Jahre überhaupt etwas bewegt, grenzt an ein Wunder. Zunächst wächst die Macht von den kleinen und kleinsten zum grössten Herrscher hinüber. Das Kaisertum beschneidet zu eigenen Gunsten die Befugnisse der Regionalfürsten.

Der Hofstaat verfolgt dieses Ziel nicht bloss aus Grössenwahn, überzeugt von der eigenen Allmacht, vom Gottesgnadentum, sondern durchaus auch, weil die Masse der Untertanen den Monarchen darin unterstützt. Vor die Wahl zwischen Teufel und Beelzebub gestellt, wählt das Volk immer noch lieber den Teufel! Die Menschen sagen sich: »Auch ein grosser Tyrann ist eine Gemeinheit, aber der grosse Tyrann kann wenigstens nicht überall gleichzeitig sein, während einem die kleinen Barone und Duodezfürsten ständig im Nacken sitzen«.

Was ich sagen will: Die Habsburger sind schlau, sie durchschauen den Lauf der Welt, mehr aus Instinkt und Erfahrung, denn aus Kalkül. Es gibt kein Manual der Macht, kein Brevier, in dem sie ihre aggressive Rezepte zum Machterhalt nachlesen können. Das ganze Habsburgerreich bringt über all die Jahrhunderte keinen Macchiavelli hervor, der eine Technik ihrer Herrschaft ersinnt. Selbst ihr grösstes militärstrategisches Genie vor Radetzky, Erzherzog Carl, versteht sich mehr auf das Einrichten von Hungerblockaden denn auf Aphorismen.

Das Fehlen einer strategischen Schule wird durch das endlos weite Exerzierfeld hundertmal wett gemacht. Der süd- und osteuropäische Raum bietet sich als grenzenloses Labor habsburgischer Gewalttechniken an, zumal die Lage im Norden im Lauf der Jahrhunderte ja immer schwieriger wird. Folgerichtig avanciert Wien zur Residenzstadt der Dynastie, und die Heraldik der habsburgischen Machtergreifung tritt hier an die Stelle eines lebendigen Stadtmythos.

Noch ein Wort zur Religion. Aus der Froschperspektive des Untertanen bietet sich das Reich als eine gewaltige, propagandistisch raffiniert aufbereitete Mischung aus Wunsch und Wirklichkeit, Wahrheit und barocker Legende an. Welche Rolle spielt dabei der Katholizismus?

Nun, die Kirche steuert das Wunderwerk der Beichte zur habsburgischen Herrschaft bei – eine psychologische Technik, die die Seele auf der Basis eines Sprachaktes rekonstruiert. Denn in der Beichte spricht ja nicht der Sünder, es spricht aus ihm heraus, und so wird er dabei erst, was er ist und was er sein soll: ein Gestrauchelter und Gefallener.

Freilich, der Sünder – und das ist das Besondere an der katholischen Beichte – muss keine Rechenschaft geben, die den Tatsachen entspricht, er muss sich bloss reuevoll, d.h. als Sünder, zeigen. Dieser theatralische Effekt steht in einer interessanten Spannung zur Sphäre des Städtischen, zur säkularisierten Öffentlichkeit und der sprichwörtlichen bürgerlichen Distanz zu sich selbst.

Man könnte die These aufstellen: Als Katholik liegt der Wiener gar nicht mit sich selbst im Streit – die Beichte, dieser Inbegriff des Auspionierens der Renitenten und Aufsässigen, fördert sein Selbstbewusstsein sogar. Wir werden im nächstes Abschnitt der Kleinen Wiener Stadtgeschichte sehen, was im Neoabsolutismus aus dieser seltsamen Mischkulanz erwächst.

© Wolfgang Koch 2007
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