vonWolfgang Koch 27.11.2006

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

Mehr über diesen Blog

Der Wiener Aktionsmaler und Schöpfer des Orgien Mysterien Theaters Hermann Nitsch zeigt vom 30. November 2008 bis 22. Jänner 2007 im Martin-Gropius-Bau in Berlin eine umfassenden Retrospektive seiner Bilder, Fotographien und Aktionsrelikte.Das 6-Tage-Spiel_72dpi.jpg

Das 6-Tage-Spiel, 1998, Foto: Archiv Cibulka-Frey, Copyright Atelier Nitsch

Zur Einstimmung auf die Schau präsentiert der Wienblog der taz ausgewählte Zitate und Sprüche des Künstlerphilosophen aus Österreich. Der im eigenen Land leider nur als Provokateur geschätze Künstler meldet sich seit vier Jahrzehnten konsequent in Interviews und theoretischen zu seiner Arbeit zu Wort, ohne dass das von einem breiteten Publikum wahrgenommen wird.

Ich habe aus dem geheimen Brevier des Hermann Nitsch den Buchstaben B (wie Berlin) ausgewählt. Und das alles hat dieser lebensreligiöse Denker, dieser Anbeter alles Sinnlichen, dieser Antihumanist und anatomische Realist aus Wien wörtlich gesagt [Hinzufügungen in eckigen Klammern stammen von mir]:

»Der Bauer ist heute ein Mischung von mittelalterlichem Fabriksarbeiter und grossem Gärtner« (1988)

»Erst wenn ich die Reinheit der entsymbolisierten Anschauung gewonnen habe, kann ich mich dem Spiel der Bedeutungen hingeben« (1999)

»Die Begeisterung ist der Beginn von allem« (1995)

»Für mein Begräbnis wünsche ich mir den letzten Satz der Siebenten Symphonie von Beethoven. Das ist für mich eine Apotheose der Lebensbejahung« (1998)

»Ich theoretisiere zwar viel, aber das Begreifen des Kunstwerkes, das ist ein irrationaler Faktor. Du kapierst es oder du kapierst es nicht« (1999)

»Der Verein [zur Förderung des O.M. Theaters] wird in Deutschland eingetragen, da es gegenwärtig nicht möglich ist, den Behörden [in Österreich] den gemeinnützigen Wert meiner Arbeit einsichtig zu machen« (1973)

»Ich lernte von der raffinierten Psychologie der Beichte, sie gab mir Methode« (1985)

»Bejahung und Verherrlichung der sich in aller Ewigkeit ereignenden fleischlichen Lebendigkeit« (1984)

»Gottfried Benn hat mich gelehrt, voll ins Fleisch der Sprache zu greifen« (1995)

»Der Beste soll nicht herrschen über Schwächere (das macht ihn unfrei), er soll aber in seiner Entfaltung nicht gehindert werden« (1974)

»Eigentlich habe ich alles nur von oben bis unten beschüttet und besudelt« (1987)

»Ich habe zwei Hunde und zwei Katzen, die in meinem Bett schlafen« (1998)

»Es gibt keine Sinnlichkeit ohne Bewusstsein« (1988)

»Unsere gesamte psychophysische Struktur, das Lebendige selbst denkt, bevor die Träume und Entwürfe ins Bewusstsein gelangen« (1995)

Rosenbild_72dpi.jpg
Hermann Nitsch, Rosenbild, 1963, Blut, Kreide, Papier, Stoff auf Jute, © VBK Wien

»Ich möchte mit meiner Arbeit die Geschichte unseres Bewusstseins erzählen« (1999)

»Ich wäre gerne bisexuell, abgesehen von den sozialen Konflikten, die man in Kauf nehmen müsste« (1999)

»Die Blumen hatten [beim Dreitagespiel 1984] auf dem Panzer nichts verloren, ich wünsche keine Handlungen, die nicht in meiner Partitur vorgesehen sind« (1984)

»Ich beschütte, bespritze, besudle die Fläche mit Blut und wälze mich in den Farblachen« (1963)

»Blut ist immer Farbe vorzuziehen« (1979)

»Wir verwendeten Lebensmittelfarben [39. Aktion, 1972]. Der Unterschied war kaum zu merken. Jedenfalls das Fehlen von echtem Blut beeinträchtigte die Aufführung kaum« (1986)

»Das Blut des Gottes ist der Wein der Metaphysik« (1995)

Schüttbild, 1961_72dpi.jpg
Hermann Nitsch,Schüttbild,1961,Dispersion auf Kreidegrund, 80 x 106 cm,© VBK Wien
Kreuzwegstation, 1961_72dpi.jpg
Hermann Nitsch, Kreuzwegstation,1961,Dispersion, Schlämmkreide auf Jute, © VBK Wien, Foto © Blauel/Gnamm - ARTOTHEK

»Auch Pflanzen haben Blut« (1996)

»Honiggoldenes schweres Glück rinnt satt berauschend durch unser Blut« (1998)

»Der Aktionsablauf darf nie im Schmutz, in der Feuchtigkeit, in der Kontrastlosigkeit, im unbedingten Blutbad enden« (1979)

»Die frühen Aktionen mit [Heinz] Cibulka sind mein Beitrag zur Body Art gewesen« (1999)

»Vielleicht haben die Erlebnisse [der Bombenangriffe] bei mir Schleusen geöffnet, andere radikale Erlebnisse zu gestalten« (1994)

»Für mich existiert der Begriff des Bösen überhaupt nicht« (1998)

»So wie ich es verstehe, gibt es das Böse an sich nicht. Alles, was scheinbar Böses auslöst, ist fehlgeleitete Energie, die ungelebt einen Druck ausübt« (1999)

»[Anton] Bruckner zeigt, was der Bauernstand, wenn er mit einer Begabung ausgerüstet ist, zu leisten vermag« (1995)

»Bruckner träumt den ihm weitestgehend versagt gebliebenen Geschlechtsakt« (1995)

»Ein Buch ist ein Blick, eine Momentaufnahme von dem, wie es in der Welt zugeht« (2004)

»Meine Arbeit meint eine Umkehrung der Lehre Buddhas« (1979)

»An philosophischer religionsstiftender Konsequenz, Einfachheit und natürlicher Verständlichkeit seiner Lehre steht [Friedrich] Nietzsche nur Buddha gegenüber, den er aber in Hinblick auf eine Weltabkehrung und Weltvereinung überwunden hat« (1995)

»Wir sind keine Asiaten. Was mich am Buddhismus fasziniert, ist die ausgereifte, sublime Form der Daseinstechnik und Existenzbewältigung« (1998)

»Man soll das [Wiener] Burgtheater schliessen und die bis jetzt dafür verwendeten Bundesmittel für die Erbauung des O.M. Theaters verwenden« (1960)

»Auch will ich rosige Schweine im Wiener Burgtheater auslassen« (1981)

»Eigentlich könnte ich sagen, dass mich das Burgtheater zum Aktionstheater getrieben hat« (1984)

»Es sind ja nicht alle Burgtheaterbesucher deppert« (2005)

© Wolfgang Koch 2006
next: DO

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/wienblog/2006/11/27/hermann-nitsch-retrospektive-in-berlin/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert