vonWolfgang Koch 16.10.2006

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Wien war die Stadt Otto Weiningers, der schon 1903 gesagt hat: »Die Fantasie des Weibes ist Irrtum und Lüge, die Fantasie des Mannes hingegen erst höhere Wahrheit«.
In der Toilettenanlage »Opera Toilet« in der Opernpassage kann man nun so eine höhere Wahrheit gut besichtigen. Da wurden Pissoirs in Form von einem offenen, geschminkten Frauenmund aufgestellt, in dessen Mitte männliche Benutzer zu pissen gewungen sind, wenn sie sich erleichtern.
Man könnte die Sache als komisch oder grotesk abtun, als Schrulle der Gehörlosigkeit in einer an sich schon taubstummen Stadt, wäre diese Toilettenanlage nur ein Einzelfall. Doch das ist sie nicht!
Schon seit den Achtzigerjahren schmücken gespreizte Damenschenkel zwei Urinale im Pub »Wiener Stamperl« in der Sterngasse. Dieses Bierlokal – gegenüber »Shakespeare & Company«, der besten englischsprachigen Buchhandlung der Stadt – präsentiert sich im typischen Prolo-Ambiente für g’standene Mander. Das »Stamperl« zählt nämlich zum gastronomischen Kernbestand des sogenannten Bermudadreiecks, einer Flanier- und Grölmeile der Jugend, die es besonders freitags- und samstagnachts in die Gegend um die jüdische Synagoge zieht.
Die sozialdemokratische Stadtverwaltung ist mit diesen Zuständen hochzufrieden. Sie verweist gebetsmühlenartig auf den Effekt einer »Wiederbelebung des ersten Bezirks« durch die Jugendlokale, als wäre das vulgäre und alkoholisierte Treiben in den Gassen und Discos für jedermann ein Gewinn. Das aber ist es lediglich für die Wirte.
Im »Stamperl« protestierten anfangs Feministinnen gegen die sexistische Herabwürdigung der Frau auf der Herrentoilette (seit 1972 organisiert sich die Wiener Frauenbewegung in der AUF – Aktion Unabhängiger Frauen). Die Kellner des Lokals liesen daraufhin ihre prächtigen Muskeln spielen und machten sich eine Hetz draus, die »Emanzenweiber« der Reihe nach aus dem Lokal zu watschen.
Nach dutzenden ausgerissenen Haarbüscheln verebbten die Proteste schliesslich wieder. Nur ab und zu verlässt noch ein Tourist, von denen im Sommer viele nichtsahnend den Gastgarten des »Stamperl« frequentieren, wutschnaubend das Häusl.
Als »sexistisch und unangebracht« kritsiert die Städträtin der Wiener Grünen, Monika Vana, das Mundpissoir in der Operpassage. Die pinkfarbenen Urinale und das durch sie vermittelte Bild der Frau als willige Schwanzlutscherin sei eine Zumutung, sagt sie. Vana ersucht den Betreiber des stillen Örtchens höflich, die sexistischen Pisseroirs zu entfernen.
Reaktion bisher: Nullkommajosef. Ja, nicht eine einzige österreichische Zeitung hat den Abdruck eines Fotos vom inkriminierten Objekt gewagt (siehe unten).
Auch das also ist der noble 1. Bezirk von Wien: eine fiese Macho-Metropole mit Vorurteilen, die so tief sitzen wie ein Krater am Mond.Pissoir.jpg

© Wolfgang Koch 2006

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