vonSchröder & Kalender 02.02.2007

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Es ist neblig, wir sehen nicht, wie der Bär flattert.

Die ›März-Akte‹ lief vor wenigen Tagen im Berliner Kino Central. Aus diesem Anlaß bringen wir die Produktionsgeschichte des Films in vier Fortsetzungen. Der Film (mit Bonustracks) erscheint im Spätsommer als DVD bei absolut medien:

Kennengelernt haben wir Christian Klippel, als sein Italienroman noch nicht geschrieben war. Er rauschte eines Tages unangemeldet in einem alten orangefarbenen Buckel-Saab – Kultfahrzeug! – auf den Hof. Weiß der Teufel, warum die Leute dachten, daß man einfach mal so beim März Verlag auftauchen könne! Im Vogelsberg kamen nämlich sehr viele Autoren einfach so vorbei, wir könnten eine ganze Folge füllen mit unangemeldeten Besuchen. Furchtbar! Zum Beispiel platzte mitten ins Reibekuchenbraten eine Tirolerin hinein, sie kam mit ihrem Manuskript extra aus Bozen angefahren. Aber bleiben wir bei Christian: Eines Nachmittags stand er mit einer drallen blondbezopften Studentin der evangelischen Theologie an der Tür. Bald saßen wir in meinem Büro am Florentiner Nußbaumschreibtisch, er und seine Freundin auf der einen Seite, Barbara und ich auf der anderen. Unser Hund Marron hatte sich, was er öfter tat, auf Barbaras Schoß gezwängt, obwohl er ja ein relativ großer Köter mit langen Läufen war. Wir unterhielten uns über Klippels mitgebrachtes Manuskript ›Metro Babylon‹, aus dem ich später für das ›Mammut‹ den Text ›Es hatte Sinn‹ auswählte.

Plötzlich hing ein bisher noch nie gerochener Gestank im Raum. Unangenehm und nicht lokalisierbar, weder Furz noch Mundgeruch. Niemand sagte etwas dazu, wir redeten weiter, als ob nichts sei. Aber die Besucher brachen kurz danach auf, und Klippel ließ sein ›Metro Babylon‹-Manuskript bei uns. Der penetrante Geruch blieb im Zimmer, selbst als wir die Fenster aufrissen. Barbara und ich waren sicher, daß es sich nur um den Streßschweiß eines Autors handeln konnte, der unbedingt sein Buch unterbringen will. Aber dann fragte sie: »Was ist das denn für ein merkwürdiger Fleck auf meinen Jeans?!« Ja, verdammt, da hatte Seine Ejakulanz Marron auf ihrem Hosenbein abgespritzt! Und natürlich erzählte uns Christian später, daß er und seine Theologin gedacht hätten, die Stinker seien wir. Eben ein typischer Fall von Unpersonenverwechslung.

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Gespräch mit Marron

Als Schauspieler benahm sich unser Hund Marron nicht derartig daneben, im Gegenteil, wenn die Klappe fiel, war er zur Stelle, lief ins Zentrum der Aufmerksamkeit und somit ins Bild. Typisch für diese Jagdhunde, sie erzwingen sich ohne Unterlaß Zuwendung und Liebe. Bald mußte Barbara den Köter festhalten, wenn die Kamera lief, sonst wäre die ›März-Akte‹ ein Hundefilm geworden. Und unser Autor Christian Klippel kam diesmal mit dem Zug, daher holte ich ihn im Film sowie in Wirklichkeit am Fuldaer Bahnhof ab. Er brachte eine Freundin mit, die wir noch nicht kannten. Ihr Vater war Rabbiner in Heidelberg, und sie lebte in Amsterdam. Ob nun eine evangelische Theologin oder die Tochter eines Rabbiners war uns egal, Hauptsache, Christian Klippel und seine Freundin spielten ihre Rolle in der ›März Akte‹ gut.

Und erst recht Horst Tomayer! Er hatte sich der Figur des Betriebsprüfers regelrecht anverwandelt und stellte seine Fragen so selbstverständlich, als kämen sie von einem echten Finanzbeamten. Dazu entwickelte er sparsame, aber wirksame Gesten: das Tippen auf einer Rechenmaschine, das Blättern in den Akten, das Lesen im ›Siegfried‹, und seine Fragen waren doppelbödig, ich konnte sie gut mit Verlagsinterna parieren. Auf diese Weise entwickelte sich aus Scherz, Satire und Ironie durchaus tiefere Bedeutung, welche die Geschichte des Verlags aufs trefflichste transportierte. Und nicht zu vergessen: Er überraschte mich mit dem Betriebsprüfergedicht! Wie es zu dieser Szene kam? Ich hatte mir die typische Messeerkältung eingefangen, am Abend des dritten Drehtags erklärte ich dem Team: »Leute, ich bin krank, habe neununddreißig Komma fünf Fieber. Ihr müßt morgen früh leider abfahren. Den Rest drehen wir dann, wenn ich wieder gesund bin.« Enttäuschung bei allen, deshalb fügte ich im Scherz hinzu: »Oder wollt ihr mich filmen, während ich im Bett liege?« Und Peter Gehrig fragte ungläubig: »Meinst du, wir könnten das wirklich machen?« »Ja, warum nicht? Wenn ich liegen bleiben kann, soll mir alles recht sein.« In dieser Nacht schrieb Horst Tomayer sein Gedicht, das er mir dann als Betriebsprüfer am Krankenbett vortrug.

Mal abgesehen von meinem Fieber waren die Drehtage ein reines Vergnügen, so wie ich mir in jungen Jahren immer Produktionen vorgestellt hatte: als Happening, ohne Krampf. Der Tonmann Chris Price wußte vor jeder Szene intuitiv, wie er uns am besten verkabelt, der Kameramann Kurt Lorenz dämpfte meinen roten Schnupfenlötkolben gnädig ab, der Regisseur Peter Gehrig ließ uns gewähren. Aus der Situation heraus, ohne daß wir uns die Abläufe vorgenommen hätten, entstanden die Szenen. Zum Beispiel brauchten wir Holz zum Heizen, ich sagte zu Peter: »Es wird kalt, wir machen eine Drehpause und holen kurz einen Wagen Holz aus der Scheune.« Da meinte er: »Das drehen wir.« So kam es zu der Szene, in der Barbara und ich mit dem roten Traktor fahren, dumpf Holzklötze vom Anhänger in den Keller pfeffern, Tomayer im Kleppermantel neben uns steht und seine Daubitz-Frage nach den Olympia-Sexfilmen stellt. Manchmal ist eben Spontanität doch attraktiver als die durchgeplanten Sachen.

Dieser Film von neunzig Minuten Länge war nach einer Woche abgedreht, die Spielhandlung im Verlagshaus auf dem Land dauerte nur vier Tage. Für solche Dokumentation braucht man sonst mindestens drei Wochen. Es ging so schnell, weil keine Szene wiederholt werden mußte, das Team gut arbeitete und die Cutterin Gabi Grausam Spaß an der Sache hatte. Größte Skepsis ist berechtigt, wenn nach der Fertigstellung eines Werkes dann »der großartige Teamgeist« in den siebten Himmel gehoben wird. Ein Stoßseufzer wäre nach den überstandenen Querelen, Vorwürfen und Hysterien in der Regel ehrlicher. Aber manchmal klappt es wirklich. Und nach so einer gelungenen Zusammenarbeit steigt dir wieder die schöne Phantasie zu Kopfe: Es ist vielleicht doch was dran am kollektiven Produzieren! Jedenfalls liefen bei uns die Dreharbeiten ab wie nach dem Keuschheitsgelübde der dänischen Regisseure Thomas Vinterberg, Lars von Trier, Søren Kragh-Jacobsen und Kristian Levring von ›Dogma 95‹, das da lautet: Drehen ausschließlich an Originalschauplätzen, Ton zeitgleich mit dem Bild, Handkamera, keine optischen Tricks oder Filter, keine Morde und Waffen, der Film spielt hier und heute. Cum grano salis: Bei uns war das Filmformat nicht fünfunddreißig Millimeter Academy, sondern sechzehn Millimeter, und der Regisseur wurde genannt – sonst hätte er sich ja später keinen Adolf-Grimme-Preis abholen können.

(Ende)

(BK / JS)

DIE MÄRZ-AKTE: 90 Minuten, BR, 1985 Grimme-Preis 1986, Regie: Peter Gehrig. Mit Jörg Schröder, Barbara Kalender und Horst Tomayer sowie Mathias Bröckers, Henryk M. Broder, Daniel Cohn-Bendit, Gerd Haffmans, Christian Klippel, Winfried Kumetat, Abraham Melzer, Reinhold Neven DuMont, Klaus G. Saur, Uve Schmidt, Christian Schultz-Gerstein, Matthias Wegner, Karl Dietrich Wolff.

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