vonHelmut Höge 24.10.2006

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Das war am Anfang eher ein Schimpfwort – und mit “Journalisten” wollte die taz sowieso eigentlich nichts zu tun haben. Da dann aber mehr und mehr von dieser Sorte eingestellt wurden, war irgendwann die “Profesionalität” schon ein halbes Qualitätsurteil. Neulich bekam ich einen Text von Kamil Majchrzak. Er ist Mitarbeiter der polnischen “Le  Monde Diplomatique”  (die 30% ihrer Ausgaben selber füllt) und studiert in Frankfurt/Oder an der “Viadrina”. In seinem Text ging es u.a. um die dortige Ausländerbehörde.  Als Aushilfshausmeister  überarbeitete ich ihn ein bißchen und bot ihn dann  mehreren taz-Redakteuren an:  Einer sagte, der ist nichts für unsere Seiten, biete sie mal dem oder dem an. Dem einen war er dann nicht journalistisch genug, dem anderen zu wenig feuilletonistisch. Und jeder brauchte in paar Tage zur Entscheidungsfindung.  Dabei rückte der Termin immer näher, zu dem  einem ukrainischen Wissenschaftler die Abschiebung drohte – genau darum ging es nämlich in dem Artikel: seine Abschiebung zu verhindern. Es half aber alles nichts. Schließlich mußte ich Kamil schweren Herzens sagen, dass  sein Text nicht in der taz erscheinen könne. Erst gestern – viel zu spät – kam mir die Idee, ihn wenigstens für die online-ausgabe zu verwenden, wogegen der Autor nichts einzuwenden hatte…

“Überqualifizierte Ausländer raus!”

Als Nahtstelle zwischen West- und Osteuropa bezeichnet Oberbürgermeister Martin Patzelt den vorgeschobenen Grenzposten  Frankfurt/Oder: “Dies verhalf der Stadt zu ihrer Weltoffenheit, die auch heute noch zu spüren ist”. Zu spüren bekamen es ausländische Studenten der “Europa-Universität Viadrina” und afrikanische Migranten, die seit Anfang der 90er Jahre in der deutsch-polnischen Grenzstadt Zielscheibe ausländerfeindlicher Übergriffe werden. Die Rechtsextremisten konkurrieren dabei mit der deutschen Ausländerpolitik.  Unter Studenten, Doktoranden und Flüchtlingen ist die Frankfurter Ausländerbehörde berüchtigt.

Am 23. März stürzte sich der Kenianer Joseph M. aus dem Fenster der Ausländerbehörde. Seitdem ist er querschnittsgelähmt. Seine Verlobte und er hatten für den 17. März beim Standesamt einen Trauungstermin erhalten. Doch bereits am 15. März wurde ein Flug-Ticket nach Kenia gebucht,  um der Eheschließung mit seiner Abschiebung zuvorzukommen.  Seit Anfang 1993 sind nach einer Dokumentation der Antirassistischen Initiative (ARI) 162 Menschen auf dem Weg in die BRD umgekommen – davon 121 Personen an der Ost- Grenze. Sie werden von den Verantwortlichen genauso tabuisiert, wie der von der Ausländerbehörde praktizierte Umgang mit Ausländern. Die Sorge der Stadtväter gilt dem Image der “Kleiststadt”.

Der ukrainische Wissenschaftler Igor P. ist ebenfalls verzweifelt. Bereits kurz nach Abschluss seines Kulturwissenschaftlichen Studiums an der Viadrina 2003, forderte ihn die Ausländerbehörde auf, seine “Sachen zu packen”. Auf ein gerade bewilligtes Begabtenstipendium für seine Doktorarbeit könne er verzichten, sagte ihm eine Frau Bartschat damals. Ähnlich erging es einigen polnischen Doktoranden, die kurz vor dem EU-Beitritt am 1. Mai 2004 aufgefordert wurden,  Deutschland zu verlassen. “Seit Anfang meines Studiums hatte ich nur Probleme mit dieser Behörde” sagt Leszek, “es kam auch zu amüsanten Szenen: Frau Bartschat forderte mich einmal auf, ihr meine Wohnungsschlüssel zu geben, um zu überprüfen, ob ich denn wirklich meinen Doktor in Frankfurt mache.”

Die polnische Studentin Agnieszka ergänzt: “Für uns hat sich die Lage nach dem EU-Beitritt leicht entspannt. Doch umso stärker richtet sich nun der Behörden-Rassismus gegen Osteuropäer und Ausländer, die keinen Studierendenausweis besitzen. Sie werden als Menschen zweiter Klasse behandelt.”

Igor hat mittlerweile seine Doktorarbeit über kulturelle Aspekte der Literaturübersetzung verteidigt und  eine Stelle als Übersetzer gefunden. Damit hofft er, seine Habilitation an der Viadrina finanzieren zu können. Prof. Dr. Hartmut Schröder ist von dem ukrainischen Wissenschaftler begeistert. “Igor schreibt seine Habilitation über kognitiv- psycholinguistische Grundlagen einer kulturwissenschaftlichen Übersetzungstheorie. Er hat bei mir bereits seine Doktorarbeit mit sehr gutem Ergebnis abgeschlossen. Ein sehr engagierter Kollege, der sehr viel Positives an der Viadrina angestoßen hat.” Die Ausländerbehörde bezweifelte bishat die Ernsthaftigkeit des Jobangebotes bei der Übersetzungsfirma PEX, obwohl deren Leiter Herr Pacak persönlich bei der Ausländerbehörde vorsprach. “Angeblich sei ich für diese Stelle überqualifiziert,” erzählt Igor. Der Wissenschaftler befürchtet nun, dass er nach Ablauf seiner Aufenthaltserlaubnis am 28. September abgeschoben wird: “Die Festlegung des Termins am Tag des Ablaufs meines Visums ist schon inhuman, ich werde bis zum Schluss im unklaren gehalten, was mit mir passiert.” So wird es von der Ausländerbehörde seit Jahren gehalten, um den Betroffenen zu verunsichern. Eine Methode mit System.

Der Ausländerbeirat Robin Kendon hat während seiner 6-jährigen Amtszeit viele ähnliche Fälle kennen gelernt:  “Ausländer, die z.B. eine Aufenthaltserlaubnis wollen, werden immer wieder hingehalten – hat man gerade einen Nachweis erbracht, wird ein neuer verlangt. Die Ausländerbehörde versteckt sich oft hinter der Aussage, wir mussten so handeln, weil die Paragrafen es so bestimmen – als ob es keinen Ermessensspielraum geben würde.” Eine Rückkehr in seine Heimatstadt Chmelnizkij würde Igor schwer fallen. “Ich lebe seit 12 Jahren in Deutschland, habe hier Freunde, eine Wohnung, Arbeit, mein ganzes Leben”. Igor versuchte bereits seinen Doktor in der Ukraine anerkennen zu lassen. Ein befreundeter Wissenschaftler versuchte den Umweg über Russland und ließ seinen deutschen Doktor in Interkultureller Kommunikation in Moskau anerkennen. Doch nach der  “Orangenen Revolution” sind in der Ukraine – auf einer Welle der Abneigung gegenüber Russland – auch russische Diplome anerkennungspflichtig. “Die sog. Revolution brachte bislang nur die Freiheit, dass Korruption zum ersten Mal im Fernsehen thematisiert wird und die jeweiligen Preise gleich mit genannt werden,” fügt er bitter hinzu.

Igor versuchte sein Glück in Polen. An den dortigen Unis waren WissenschaftlerInnen aus dem Osten bislang gern gesehen. Seit dem Amtsantritt der Kaczyski-Zwillinge in Warschau hat das Bildungsministerium jedoch praktisch einen Einstellungsstopp verhängt.   Die Stadt Frankfurt lanciert seit Jahren die Werbe-Aktion “Freundliches Frankfurt”. Aufkleber mit dem Slogan und dem Foto zweier lachender Jungs, kleben auf Einsatzfahrzeugen der Bundespolizei – gleich neben der BGS-Hotline. Unter dieser Nummer können “auffällige, ausländisch aussehende Personen im Grenzgebiet” der Polizei gemeldet werden.

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    Mehr auf: http://www.ostblog.de/

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