Zum Tod von Christian Semler: Abschied von einem Freund

In Berlin wurde am Dienstag der taz-Kollege Christian Semler beigesetzt. Weggefährten erinnerten an sein Leben, sein Lachen und seinen Beitrag zur Geschichte.

Die IG Blech spielte für Christian Semler, im Hintergrund in verschiedenen Lebensphasen zu sehen Bild: Piero Chiussi

BERLIN taz | Es war ein schöner Abschied. Die Sonne strahlte über Berlin, als Verwandte und Freunde, Weggefährten und taz-Kollegen Christian Semler am Dienstag das sprichwörtliche letzte Geleit gaben.

Das buntscheckige Blasorchester namens IG Blech, einstmals als Demo-Band der KPD-AO gegründet, schritt den rund 500 Trauergästen – nach polizeilichen Angaben wohl etwas weniger – voran zu seiner letzten Ruhestätte auf dem Georgen-Parochial-Friedhof am Berliner Friedrichshain. Gleich um die Ecke hatte Christian Semler die letzten 20 Jahre mit seiner Frau Ruth gelebt.

Auf die Urnenbestattung folgte am Nachmittag eine Gedenkfeier im gut gefüllten Theatersaal der Volksbühne in Berlin, die alle Facetten von Christian Semler würdigte. An sein feines, verschmitztes Lächeln erinnerte sein Kollege Niels Kadritzke, der ihn schon in studentenbewegten Zeiten kannte und zuletzt als Redakteur bei Le Monde diplomatique mit ihm gearbeitet hatte – aber auch an seine Neugier, seine Reisefreude und sein Interesse an Menschen. „Was hätte Christian jetzt gefragt?“ Mit dieser Frage sollte man sich an ihn erinnern, schlug er vor.

Nach ihm erklärte Exchefredakteurin Bascha Mika, dass Christian Semler bei der taz der „heimliche gute König“ gewesen sei: „Laut wurde er nur, wenn er lachte.“ Der ungarische Schriftsteller und Historiker György Dalos wiederum hob hervor, dass es 68er wie Christian Semler waren, die „uns in unseren armseligen Dissidentenküchen besuchten“ – lange bevor Politiker aus dem Westen die Bürgerrechtler im Ostblock ernst zu nehmen begannen.

Ein Sammelband

Stefan Reinecke, der mit seinem Kollegen Christian Semler in der taz lange ein Redaktionszimmer geteilt hatte, streute zwischen den Laudatoren kurze Texte von Semler selbst ein. Aus den fast 2.000 taz-Beiträgen des Kollegen las er zwei vor, in denen dieser, selten genug, über sich selbst geschrieben hatte – einmal über die Legende, er habe von seinem Vater, einem reichen Lebemann, mehrere Millionen geerbt, die er seiner Partei vermacht habe; ein anderes Mal, wie er als Kind im Mai 1945 das Kriegsende erlebt hatte.

Im April werde ein Sammelband mit Essays und Texten von Semler erscheinen, kündigte Stefan Reinecke an. In diesem Moment war Christian Semler im Saal so präsent, als betrachte er die Veranstaltung von seiner Stuhlreihe aus mit vergnügtem Blick.

An Christian Semlers 68er Jahre erinnerte ein kurzer Film, der Ausschnitte aus der Politdoku „Was war links?“ von 2003 zeigte. Historische Aufnahmen mit Rudi Dutschke und von der „Schlacht vom Tegeler Weg“, die als ein Wendepunkt der westdeutschen Linken auf dem Weg zu ihrer Radikalisierung gilt, mischten sich da mit Passagen aus einem Interview, in dem Christian Semler diese Ära gut gelaunt kommentierte.

Man habe nicht immer von der Polizei verprügelt werden wollen, sondern „mal den Spieß rumgedreht“, erklärte er rückblickend, warum damals Farbeier und Pflastersteine auf die Berliner Polizisten mit ihren altmodischen Tschakos flogen.

An seiner dogmatischen Phase als Chef der KPD-AO wiederum hob er den Aspekt der Inszenierung hervor, die dem Wunsch entsprang, an die Traditionen der linken Arbeiterbewegung anzuknüpfen. „Wir wollten mit den Toten sprechen“, so Semler.

Das historische Gedächtnis der taz

Doch die Siebzigerjahre waren natürlich mehr als Mummenschanz und Maskerade, und so hätte man diesem Film, der Christian Semler wieder lebendig werden ließ, noch stundenlang folgen können.

Denn Christian Semler war, auch wenn er nicht zu ihren Mitbegründern gehörte, so etwas wie das historische Gedächtnis der taz. Sein Tod hat vielen noch einmal in Erinnerung gerufen, warum die taz mal gegründet wurde – und welche Bedeutung sie bis heute hat.

An linke Traditionen angeknüpft hatte zuvor auch schon die Beerdigungszeremonie auf dem Georgen-Parochial-Friedhof. Dort trug die Sängerin Gina Pietsch Brecht-Lieder wie die „Seeräuber-Jenny“ aus der „Dreigroschenoper“ vor, und die ganze Trauergemeinde wirkte in ihrer imposanten Zahl ein wenig wie aus einem sozialistischen Gemälde entsprungen.

Am Ausgang des Friedhofs, auf der anderen Straßenseite der Greifswalder Straße, konnte den Trauergästen dann auch ein Transparent ins Auge fallen, das über einem türkischen Imbiss aus einem Fenster des „Hauses für Demokratie und Menschenrechte“ hing, als wäre es dort erst zu diesem Anlass voller Absicht angebracht worden: „Keine Revolution ist auch keine Lösung“, stand darauf geschrieben. Auch das hätte Christian Semler bestimmt gefallen.

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