Zugang zu Medikamenten: Kann Heilung zu teuer sein?

Hepatitis C war unheilbar, bis ein neues Mittel auf den Markt kam – für 700 Euro die Pille. Hersteller und Kassen streiten um den Preis.

20.000 Euro kostet eine Packung dieses Medikaments. Bild: AP

Wenige Gehminuten vom Bundestag entfernt verhandeln in Berlin gerade Vertreter der Krankenkassen mit einer Pharmafirma aus den USA darüber, wie teuer deren Medikament künftig in Deutschland verkauft werden darf. Es ist nicht irgendein Medikament, sondern das Hepatitis-C-Mittel Sovaldi, über das in den vergangenen Monaten immer wieder heftig gestritten worden ist. Der Grund: Eine Pille kostet 1.000 Dollar. Für eine zwölf Wochen lange Therapie mit Sovaldi müssen die deutschen Kassen also 60.000 Euro zahlen. Sie halten das für überteuert.

Weil ein Hersteller nur im allerersten Jahr, in dem sein Medikament auf dem Markt ist, dessen Preis selbst bestimmten darf, wird nun in Berlin darüber verhandelt. Bis zum 17. Januar müssen sich Kassen und die Sovaldi-Firma Gilead geeinigt haben. Wenn sie das nicht tun, wird danach eine Schiedsstelle entscheiden müssen. So sieht es das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz vor, dass der FDP-Gesundheitsminister Philipp Rösler 2011 eingeführt hat. Die Prozedur nennt sich „Erstattungsbetragsverhandlung“. Bisher sieht es nicht so aus, dass sich die Kassen mit Gilead einigen werden.

Hinter alledem steht eine grundlegende Frage für das deutsche Gesundheitssystem: Wird auch künftig jeder Patient prinzipiell jedes Medikament bekommen können?

Nach dem Sozialgesetzbuch muss bisher jeder gesetzlich Versicherte ein Medikament zulasten der Krankenkasse bekommen, wenn das Medikament für seine Krankheit zugelassen ist, und wenn ein Arzt es ihm verordnet. Die Kassen in Deutschland können also nicht sagen, dass sie Sovaldi beispielsweise nur für die Gruppe der Hepatitis-C-Patienten im fortgeschrittenen Krankheitsstadium bezahlen. Die Schweiz und Frankreich dagegen haben genau das 2014 schon beschlossen.

Das Medikament Sovaldi ist ein medizinischer Durchbruch. Es könnte tausenden Hepatitis-C-Kranken das Leben retten. Warum es in Deutschland vielleicht trotzdem vom Markt verschwindet, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 10./11. Januar 2015. Außerdem: Daniel Cohn-Bendit darüber, was der Terroranschlag auf Charlie Hebdo für Frankreich bedeutet. Und: Thomas Nemet erzählt, wie er als Ghostwriter Doktorarbeiten verkauft. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Der weltweite Markt für Medikamente dürfte im selben Jahr zum ersten Mal die Grenze von einer Billion Dollar überschritten haben. Nirgendwo wird in Europa so viel Umsatz damit gemacht wie in Deutschland.

Kann es sein, dass Heilung irgendwann zu teuer wird?

Oder anders gefragt: Wie viel ist eine Gesellschaft bereit zu zahlen, dafür, dass sich ein Menschenleben verlängert?

Bald wieder vom Markt genommen?

In der Ganzen Geschichte „Der Preis des Überlebens“ in der taz.am wochenende vom 10./11. Januar 2015 erzählen wir vom Kampf des Hepatitis-C-Patienten Andreas Bemeleit um sein Medikament. Als Bemeleit 2012 zum ersten Mal von einem neuen Wirkstoff namens Sofosbuvir hört, wächst seine Hoffnung. Das Mittel ist praktisch nebenwirkungsfrei und vor allem: Sofosbuvir kann die Viruslast binnen weniger Wochen derart absenken, dass Ärzte von Heilung sprechen. Heilung von Hepatitis C. Ein medizinischer Durchbruch.

Nur: Sein Arzt verschreibt Bemeleit das Mittel nicht. Er hat Angst, dass er damit sein Budget überzieht. Überschreiten Ärzte dieses Budget, drohen Regressforderungen - dann wollen die Kassen Teile ihres Geldes zurück. Manche verschreiben Sovaldi deshalb nur in richtig drastischen Fällen, um ihr wirtschaftliches Risiko zu minimieren. Bei einem so teuren Medikament könnte eine Regressforderung für einen Arzt den Ruin bedeuten.

Wenn sich sich die Parteien bei ihren Verhandlungen in Berlin nicht einigen, könnte es sogar passieren, dass Sovaldi, das Medikament, das etwa 300.000 Hepatitis-C-Patienten in Deutschland Heilung verspricht, wieder vom Markt genommen wird.

Der Arzt Hans Reiser leitet die medizinische Abteilung von Gilead am Firmenhauptsitz in Foster City, Kalifornien. Er verteidigt die hohen Kosten und ist überzeugt: „Der Preis muss auch vom Reichtum eines Landes abhängen, also etwa vom Bruttoinlandsprodukt, aber auch davon, wie stark ein Land von einer bestimmten Krankheit betroffen ist.“

Welche Kosten aber darf der Preis eines Arzneimittels abbilden? Nur die der Herstellung des jeweiligen Medikaments? Oder muss man nicht vielmehr auch die Kosten berücksichtigen, die den Pharmaunternehmen durch die vielen Fehlschläge entstanden sind, bei der Erforschung von Wirkstoffen, die schlussendlich zu nichts führten? Dafür würde Reiser plädieren.

In Großbritannien werden jetzt schon die Kosten einer Therapie in Bezug gesetzt zu der daraus resultierenden zusätzlichen Lebenserwartung. Eine 30-Jährige Krebspatientin wird also einer 80-Jährigen vorgezogen.

Ist das in Deutschland irgendwann auch so weit, weil wir uns die immer besseren und dadurch auch immer teureren Medikamente nicht mehr leisten können? Oder bereichern sich die Firmen an den ohnehin schon überlasteten Gesundheitssystemen?

Diskutieren Sie mit!

Die Ganze Geschichte „Der Preis des Überlebens“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 10./11. Januar 2015.

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