Zizek bei "Occupy Wall Street"-Bewegung: "Hier ist der Heilige Geist"
Als Starphilosoph Slavoj Zizeks vor der "Occupy Wall Street" -Bewegung spricht, wirkt es wie ein religiöses Erweckungsmoment. Und Zizek findet dazu die richtigen Worte.
Politisch philosophisch gab es bei Slavoj Zizeks Auftritt bei den Protestierenden der "Occupy-Wall-Street"-Bewegung nicht allzuviel Neues: Er verglich die Banker und Broker mit Comicfiguren, die den Fakt nicht erkennen, dass sie schon längst keinen Boden mehr unter den Füßen haben und erst wenn sie nach unten gucken, runterfallen.
Er prangerte das outgesourcte politische Engagement an: alkoholfreies Bier, fettfreie Eiscreme, Dosenrecycling und zehn Cent vom Starbucks-Capuccino für hungernde Kinder würden nur das gute Gewissen korrumpieren.
Neu war das Setting seines Auftritts, das einer kirchlichen Messe glich. Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle, behauptet der Apostel Paulus in seinem Hohelied der Liebe. Wie tönend Erz rief Zizek seiner Anhängerschar im Zucotti Park in Manhattan zu, dass es absurd sei, sie als Träumer zu bezeichnen: "Wir sind keine Träumer. Wir sind die Erweckung aus einem Traum, der sich in einen Albtraum verkehrt."
Und benutzte wahrhaft paulinische Diktion:"Was ist das Christentum?", fragte er. "Es ist der Heilige Geist", antwortete er. Und der heilige Geist, erklärte er, sei "eine egalitäre Gemeinschaft von Gläubigen, die durch die Liebe zueinander verbunden sind und die nur ihre eigene Freiheit und Verantwortung haben, dies zu tun." Und Zizek sprach: "In diesem Sinne ist der Heilige Geist jetzt hier."
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Hätte Martin Scorsese nicht schon "Die letzte Versuchung Christi" verfilmt und hätte Pier Paolo Pasolini noch die Chance, sein Paulus-Drehbuch zu verfilmen, der Auftritt von Zizek am Sonntag wäre definitiv eine Inspiration.
Dass dieses Ereignis tatsächlich wie ein religiöses Erweckungsmoment wirkte, liegt an den humanen Mikrofonen: Weil die Polizei den Protestierenden verboten hat, elektrische Lautstärker zu benutzen, wiederholen die Anwesenden lautstark jeden Satz, den Zizek vorliest, so dass auch die hinteren Zuhörer verstehen, was der Starphilosoph zu sagen hat. Zizek wird diese weihevolle Zeremonie sicher ein Lacansches "Mehrgenießen" verschafft haben.
Leser*innenkommentare
Walter Micke
Gast
Vater unser
der du bist im Himmel, erlöse
uns von dem Übel, der Verlogenheit!
Jeder von uns will sein „wie Gott“
und „mehr“ sein, als alle anderen.
Anstatt uns der Tatsache bewusst zu
sein, dass diese Welt unser zuhause
ist, solange wir leben, weil wir nichts
anderes haben.
Was vor uns war und nach uns sein
wird, bleibt dem Heiligen Geist!
Dass Gott ein Mensch ist, war eine
Idee des Teufels, der sein wollte „wie
Gott“.
Wenn wir die Zeit, die uns Menschen
hier auf der Erde noch verbleibt, leben
wollen „wie Menschen“, die vom
„Heiligen Geist“ zur Vernunft gebracht
wurden, dann werden wir alle etwas
mehr vom Leben haben. Es liegt nur
an uns, wie wir leben.
Paul Köhler
Gast
Zizek ist der Paulus des 21. Jahrhunderts. Und das ist gut so!
I know it`s only rock`n roll but i like it, i like it, yes I do.
Indes online
Gast
Wenn Sie mehr über Slavoj Zizek und die Rolle von aktuellen in der Politik lesen möchten:
INDES - Zeitschrift für Politik und Gesellschaft
herausgegeben von Franz Walter fragt in der ersten Ausgabe: "Wo sind die Vordenker?"
Inklusive "Der rasende Theoretiker. Im Taxi mit Slavij Zizek" von Oliver Nachtwey.
Alle Infos sowie die komplette erste Ausgabe als gratis Download gibt es unter
www.indes-online.de
Christine
Gast
Hurra, wir haben eine neue Sekte zur Erlösung der Welt. Ist nicht - na wird schon noch werden.
B_Pecuchet
Gast
Danke für den sehr schön geschriebenen Bericht und vor allem für das verlinkte Video!
Ein unfassbares Bild, Zizek steht mit seiner ganzen auch körperlich spürbaren Massivität auf einem Podest, zupft sich immer wieder hektisch am T-Shirt, während der Chor wie in einer antiken Tragödie seine Worte nachspricht. So stellt man sich das nahende Ende des Kapitalismus vor. Zizeks Wanderpredigt ist die Antwort auf den inzwischen religiös zu nennendem Wahn der Marktgläubigen, es könne oder dürfe so weiter gehen wie bisher, oder, wie Zizek es mit seinen Worten sagt, "die Ehe zwischen Kapitalismus und Demokratie ist vorbei". Es kann sehr wohl ein lebenswertes Leben nach dem Kapitalismus geben. Ob es dagegen auch ein lebenswertes Leben nach der Demokratie gibt, darf bezweifelt werden.
txxx666
Gast
Nicht vergessen: Am Samstag, dem 15. Oktober, ist der große weltweite antikapitalistische Protesttag, auch in deiner Stadt - und wer nicht mitmacht, ist doof (oder schlimmeres)!
http://misanthrope.blogger.de/stories/1910158/
Tom Stelling
Gast
viele weitere Hinweise auf Occuppy Wallstreet und auch den 15. Oktober, "united for global change" Tag in Deutschland: www.echte-demokratie-jetzt.de...