Ziviler Protest gegen Rebellen in Libyen: Permanente Revolution?

Die Milizen und Rebellen, die das Gaddafi-Regime stürzten, wollen ihre Autonomie behalten. Auch treiben sie die gewählten Institutionen vor sich her.

Schwer bewaffnet belagern Protestierende das Justizministerium in Tripolis. Bild: dpa

TRIPOLIS taz | „Dort arbeiten immer noch besonders viele Gaddafi-Leute“, sagt ein Uniformierter mit geschulterter Kalaschnikow auf dem Kindergartengelände vor dem libyschen Außenministerium. „Wir wollen die Revolution retten und werden gegen die Rückkehr der Gaddafi-Leute mit allen Mitteln kämpfen.“

Seit zwei Wochen nun hält die Krise um den Ausschluss ehemaliger Gaddafi-Regimefunktionäre von öffentlichen Ämtern Libyen in Atem. Nach der deutschen haben nun auch die britische und die US-Botschaft Teile ihres Personals aus Tripolis abgezogen. Auf Evakuierungen spezialisierte Einheiten der US-Armee in Spanien wurden in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt.

Mit ihrer Blockade des Außen- und des Justizministeriums erzwangen hauptsächlich aus Misurata stammende ehemalige Anti-Gaddafi-Kämpfer letzte Woche den Nationalkongress zur Verabschiedung des sogenannten Isolationsgesetzes. Mit 164 von 200 Stimmen votierten die Parlamentarier, alle ehemaligen Funktionäre des Regimes für 10 Jahre aus allen politischen Ämtern zu verbannen.

Das Gesetz bezieht sich auf die Zeit seit Gaddafis Putsch 1969 und könnte auch vielen Anführern der Revolution von 2011 das Amt kosten. Der Aufstand gegen Gaddafi vor zwei Jahren wurde ja gerade dadurch stark, dass Amtsträger des Regimes sich ihm anschlossen.

Breite Kritik in der Zivilgesellschaft

Das Gesetz stößt auf breite Kritik in der Zivilgesellschaft. „Dass wenige hundert Bewaffnete aus dem ganzen Land in der Hauptstadt einfallen, Ministerien besetzen und das Parlament per Ultimatum zwingen, ein schlecht durchdachtes Gesetz zu verabschieden, ist nichts weniger als eine Gegenrevolution“, sagte der politische Aktivist Mazigh Buzakhar.

Beobachter sehen hinter dem Gesetz noch andere Motive: Politische Akteure versuchen, Rivalen durch Verweis auf ihre Vergangenheit zu entmachten.“ Es ist kein Zufall, dass alle Minister aus Zintan gehen müssen“, sagt ein politischer Beobachter. „Die Zukurzgekommenen kämpfen mit Hilfe des Isolationsgesetzes um Macht und Positionen.“ Tatsächlich hatten alle im Kongress vertretenen Parteien ihre Vorschläge zum Isolationsgesetz um ihre politischen Gegner herum formuliert. Und gleich Namenslisten dazu geliefert.

Bürger sind auch empört, dass Politik mit Waffengewalt in Libyen immer noch möglich ist. „Ich bin nicht für Ali Zeidan, aber wir haben eine gewählte Regierung und Gesetze sollten auf demokratischem Wege zustande kommen, nicht mit Gewehrläufen“, sagt Fatma Gandour auf der täglichen Gegenprotestaktion auf dem Algerienplatz in Tripolis.

Mit spontanen Aktionen forderten Bürger die Polizei und Armee zum Einschreiten auf, und seit Sonntag ist sie tatsächlich vor den Ministerien vorsichtig präsent. Am Freitag war es zu Schlägereien zwischen Milizionären und Bürgern gekommen. „Ihr werdet alle von Gaddafi bezahlt“, skandierten die meist bärtigen Milizionäre.

Verschleppt und gefoltert

Einige Demonstranten wurden nach den Protesten in Autos gezogen, andere zusammen geschlagen. „Al Arabija“-Korrespondent Mahmoud al-Firgany wurde verschleppt und gefoltert, Minderheitenaktivist Othman Ahmed Salamat gab an, von einer stadtbekannten religiösen Milizionär entführt worden zu sein.

Die Demonstranten auf dem Algerienplatz kommen aus allen Schichten der Gesellschaft, auffällig viele Frauen machen ihre Frustration Luft. Viele vermuten Salafisten sowie den konservativen Golfstaat Katar hinter der Kampagne für das Isolationsgesetz. „Libyen ist nicht Katar“, steht auf einigen Schildern.

Zu den Protestlern gegen die Milizen gehört auch der bekannte Menschenrechtsaktivist Fathi Terbil, mit dessen Festnahme im Februar 2011 in Bengasi die Revolution begonnen hatte. Letzte Woche versuchte Terbil mit seinen alten Mitstreitern in Bengasi, eine Demonstration für die gewählte Regierung zu organisieren. Eine Gruppe Bewaffneter stürmte das Treffen und verprügelte die Aktivisten. Am Montag spitzte sich die Lage weiter zu: Bei einem Autobombenanschlag vor einem Krankenhaus in Bengasi kamen nach Regierungsangaben mindestens 15 Menschen ums Leben, mindestens 30 wurden verletzt. (mit afp)

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