Zensur im russischen Internet: Netz unter Druck

In Russland soll ein autarkes Internet aufgebaut werden. Der Duma geht es dabei um Unabhängigkeit von den USA – aber nicht nur.

Ein Mann hällt bei einer Demonstration ein Schild hoch

„Rettet das Internet, rettet Russland“ – viele Russ*innen befürchten zunehmende Überwachung Foto: Alexander Zemlianichenko/ap/dpa

MOSKAU taz | Das russische Internet soll laufen. Auch wenn im Ausland die Server ausfallen; auch, wenn Verbindungen gezielt gekappt würden. Das ist das Ziel eines Gesetzes, das die Duma, das russische Unterhaus, vor zwei Wochen auf den Weg gebracht hat. Die übergroße Mehrheit stimmte bereits im ersten Durchgang dafür: mit 334 zu 47 Stimmen.

Hier geht es nicht um das Falschnachrichten-Gesetz von letzter Woche, das bereits zu einem Aufschrei und Protesten geführt hat. Es geht hier um die Beschaffenheit des Internets an sich. Durch eine eigene Infrastruktur soll die Funktion des russischen Internets, des Runets, garantiert werden, falls der Zugriff auf Server im Ausland unterbrochen sein sollte. Dafür soll laut Entwurf bis Juli eine neue Behörde eingerichtet werden, das „Zentrum für Monitoring und Lenkung“.

Moskau befürchtet, dass sich die Beziehungen zu den USA weiter verschlechtern, und sich das direkt auf den Internetzugriff der Russen auswirken könnte. Auch wenn die Bedeutung der USA beim globalen Datenverkehr in den letzten Jahren abgenommen hat: Noch immer befindet sich die Infrastruktur, die das Internet am Laufen hält, zu großen Teilen in den Staaten. Das gilt zum Beispiel für diejenigen Server, über die wichtige Daten wie der internationale Zahlungsverkehr laufen.

Ein russischer Probelauf, der die Abkopplung vom WWW testen soll, ist für Mitte März geplant. Russland bastelt schon seit Längerem an einem „souveränen Internet“, das nur noch über eigene Server laufen soll. Roskomnadzor, Russlands Aufsichtsbehörde für Telekommunikation und Datenschutz, wird die Server kontrollieren. Auch das neue Monitoringzentrum untersteht deren Überwachung.

Der Kreml ist nervös

Es geht dabei allerdings nicht nur um ein verlässliches Internet, sondern auch darum, den unüberwachten Transfer von Geldern zu verhindern. „Graue Schemata“ nennt das die Tageszeitung Iswestija etwas nebulös. Darüber hinaus spielt für Russland natürlich Informationssicherheit eine Rolle. Geheimdienstler Wladimir Putin sagte im Gespräch mit Medienvertretern in Moskau kürzlich, er sei sicher, die USA würden „alles lesen, aufnehmen und verwerten“. „Warum sollten sie ihre wichtigste Quelle abstellen?“, fragte der Kremlchef rhetorisch.

Der Kreml ist nervös. Die neuen Technologien setzen den Überwachungsstaat unter Druck. Auch die eigenen Bürger machen der Regierung zu schaffen. Vor allem die jungen Russen, die sich vom Fernsehen nicht mehr steuern lassen. Soldaten dürfen seit Kurzem keine Smartphones oder iPads mehr bei sich tragen. Denn Selfies der Armeeangehörigen kursierten im Internet. Standorte und Bewegungen der Einheiten wurden so im Ukrainekrieg ungewollt offengelegt.

Das Internet – körperloses, omnipräsentes Etwas? Wolke? Nahtlos drahtlos? So nehmen wir User das Netz wahr, besonders seit die meisten von uns mobile Daten, W-LAN und Clouddienste nutzen. Aber das Grundskelett des Internets besteht nach wie vor aus Kabeln. Glasfaserkabel um genau zu sein, die zwischen den Metropolen der verschiedenen Kontinente verlaufen, bis zu zehn Meter unter dem Meeresboden.

Die Glasfaserkabel leiten Datenpakete entlang von Knotenpunkten – Routern – zum Ziel, etwa zu den Servern der Mail- oder Suchmaschinenanbieter. Gefunkt wird das Netz dagegen nur über kurze Distanzen. Die meisten Seekabel liegen zwischen Nordamerika und West­europa, sie stammen größtenteils noch aus dem alten Jahrtausend.

Auch die Server der wichtigsten Anbieter für Kommunikation und Zahlungsverkehr sitzen in den USA. Wer also von Europa aus mit anderen Kontinenten, aber auch mit Europa selbst, kommuniziert, übermittelt Daten häufig über die USA. Russland sieht darin einen geopolitischen Nachteil für sich.

Bis 2012 war das Runet unkontrolliert. Doch dann gingen massenweise Wähler wegen Wahlbetrugs bei den Dumawahlen auf die Straße. Auch Wladimir Putins Entscheidung, bei den Präsidentenwahlen noch einmal anzutreten, sorgte für Proteste.

Nach den Protesten veränderte sich der Blick der Regierung auf das Netz, denn das Internet war über Nacht zum Organisator von Massenprotesten geworden. Das sollte verhindert werden. Provider und Telekom-Anbieter müssen heute Regierung oder Geheimdienst technische Neuerungen und Geschäftsvorhaben mitteilen. Kritiker werden behindert und vermeintlich extremistische Posts entfernt. Die Menschenrechtler von der Moskauer NGO Agora zählten im Jahr 2018 mehr als 662.000 Eingriffe in die Freiheit der Nutzer. Als „Eingriffe“ gelten blockierte Seiten, Abmahnungen und Warnungen. 2017 zählte Agora mit 116.000 Eingriffen noch weitaus weniger. „Es läuft eindeutig auf Verschärfung hinaus“, meint Damir Gainutdinow, der seit zehn Jahren für Agora die Daten erhebt.

Darüber hinaus werden jeden Tag 1.300 Websites blockiert, jeden achten Tag wird ein Nutzer zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Wie Alexander Judin, der wegen eines vermeintlichen Terroreintrags sieben Jahre Lagerhaft erhielt. Judin stammt aus Magadan im Osten Russlands, einer Region, die offenbar besonders in den Blick genommen wird, mehr als 200 Verletzungen wurden dort pro 100.000 User geahndet.

Auf der Freiheitsskala von Freedom House landete Russland von 65 Staaten auf Platz 53, hinter Thailand und Gambia.

Inzwischen werde modernisiert und ausgebaut, meint der IT-Spezialist Andrei Soldatow, Autor des Buches „The Red Web: The Kremlin Wars on the Internet“. Die älteren elektronischen Überwachungsschnittstellen, bekannt als SORM-Boxen, die den Netz-Verkehr direkt beim Anbieter aufzeichnen und kontrollieren, werden gegen leistungsstärkere ausgetauscht. Sie können mittlerweile alles blockieren und filtern, was dem Kreml suspekt ist. Geht das Gesetz durch – woran niemand zweifelt –, dann wäre jeder Anbieter verpflichtet, die modernisierten Boxen anzuschließen.

Man will einzelne Regionen oder auch das ganze Land vom Netz nehmen können

Seit 2015 gibt es zudem Vorbereitungen, damit eine Region oder auch das ganze Land theoretisch vom Netz genommen werden könnte. In der kleinen nordkaukasischen Republik Inguschetien hat es bereits einen Probelauf gegeben. Im vergangenen Oktober gingen die Einwohner wegen eines Landstreits aus Protest auf die Straße. Sie wehrten sich gegen eine Vereinbarung mit dem Nachbarn Tschetschenien, der von der kleinsten russischen Republik Landabtretungen verlangte. Auch Polizisten schlossen sich den Demonstranten an. Moskau war beunruhigt. Aktivisten und Journalisten berichteten, bis die Verbindungen plötzlich verschwanden. Alle drei in Inguschetien tätigen Mobilfunkunternehmen hatten ihre 3G- und 4G-Verbindungen auf Wunsch des Geheimdienstes ausgeschaltet, sagt Andrei Soldatow. Die Livestreams der Reporter brachen ab. Zwei Wochen nahm der Geheimdienst die Republik auf diese Weise vom Netz. Zwar konnte nicht alles lückenlos abgeschaltet werden, der Probelauf sei dennoch als Erfolg gewertet worden, meint Soldatow.

Ständig aktualisierte Verbotsliste

Die großen russischen Plattformen wehrten sich anfangs noch gegen den Geheimdienst. Aber der Widerstand der Suchmaschine Yandex, des Mail-Service Mail.ru und des sozialen Netzwerks Odnoklassniki ist inzwischen gebrochen. Auch sie unterstützen mittlerweile die „digitale Souveränität“.

Das heißt, dass Sicherheitsdienste jede Mail abfangen können, wobei sie allerdings nach wie vor die besonders geschützten HTTPS-Protokolle nicht entschlüsseln können. Auch die Digitalisierung der Haustechnik erschwere den direkten Zugriff, meint IT-Experte Soldatow.

Im letzten Jahr scheiterten die Überwacher beim Versuch, den Messenger-Dienst Telegram zur Öffnung seiner Chats zu zwingen. Nicht immer wird in Russland ein technisches Verbot lückenlos umgesetzt und befolgt. Auch Google drohte zunächst Schließung. Das US-Unternehmen gab schließlich nach und blockierte die Einträge von der „schwarzen Liste“ der Kontrolleure. Rund 70 Prozent der beanstandeten Sites sperrt Google laut der Zeitung Wedomosti. Dafür gibt es jeden Tag eine aktualisierte Verbotsliste.

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