Yakuza-Film „Tokyo Tribe“ von Sion Sono: Jede Gang hat ihren Stil

Wie ein HipHop-Konzeptalbum: „Tokyo Tribe“, ein irrwitziger und temporeicher Bilderwirbel von Sion Sono.

Szene aus „Tokyo Tribe“ von Sion Sono

An visuellen Bizarrerien herrscht kein Mangel: Szene aus „Tokyo Tribe“ von Sion Sono. Foto: 2014 Inoue Santa Tokyo Tribe Film Partners

Die Ikonografie des HipHop-Videos strotzt vor Klischees. Seine visuellen Register sind jederzeit abrufbar, die schamlose Zurschaustellung von Statussymbolen dient immer wieder auch – zuletzt in Harmony Korines Teenploitation-Camp „Spring Breakers“ – als brauchbare Metapher für die konvergierenden Schwundzustände von Kapitalismus und Popkultur: Gewalt, Sex, Drogen, Bling-Bling.

Sion Sono ist mit „Tokyo Tribe“ nicht angetreten, diese Klischees zu entkräften, ganz im Gegenteil. Der japanische Vielfilmer steht für ein Kino der grotesken Exzesse und hemmungslosen Überaffirmation. Und auch wenn man seinen neuen Film nur schwerlich uneingeschränkt bewundern kann: Das Energielevel, auf dem „Tokyo Tribe“ über nahezu zwei Stunden in einem atemlosen Tempo einen irrwitzigen Bilderwirbel auslöst, ist selbst für Sonos Verhältnisse außerordentlich.

Martial Arts trifft auf automatische Waffen, HipHop auf Mafia: Der Wu-Tang-Clan wäre stolz auf diesen würdigen Abkömmling der asiatischen B-Movie-Tradition, der sich hier auch als gelehriger Schüler der Shaw-Brüder mit ihren bunten Kampfballetten erweist.

„Tokyo Tribe“ ein HipHop-Musical zu nennen, wäre also grob vereinfachend, obwohl die meiste Zeit gerappt wird – die Vorstellung des Gangsterbosses ist untermalt von einer weiblichen Human Beatbox. Sonos Manga-Adaption funktioniert eher als Gangfilm (Walter Hills „The Warriors“ stand Pate), in erster Linie geht es – wie auch im HipHop – um den Battle: den Kampf ums Territorium. Die Topografie der Stadt markieren Sono und der Kameramann Daisuke Sôma gleich in der elaborierten Eröffnungssequenz auf virtuose Weise.

Eine minutenlange Plansequenz durch die belebten Straßen des Tokioter Vergnügungsviertels Bukuro verschafft in perfekter Beiläufigkeit und im entspannten Ostküsten-Flow des Erzählers/Rappers Show einen wimmelbildartigen Überblick über das Geschehen (eine alte Frau steht an den Plattenspielern und droppt einen Beat, der sich gewaschen hat), während in einer bizarren Vignette Mera, Anführer der Bukuro Wu-Ronz, mit einem Messer auf den nackten Brüsten einer jungen Polizistin das Tokioter Gangland kartografiert.

Das Geräusch, das die Klinge auf der Haut erzeugt, ist schabend-metallisch, womit Sono bereits deutlich macht, dass die sexuellen Perversionen selten fleischlichen Gelüsten entspringen.

Die Traditionslinie von Lil‘ Kim

„Tokyo Tribe“ ähnelt im Aufbau einem Konzeptalbum, wie sie Mitte der 1990er Jahre gerade im US-amerikanischen HipHop beliebt waren. Jede Gang hat ihr eigenes Narrativ und ihren eigenen Stil: Die Beats der Shibuya Sarus kommen vom „Dirty South“, die Shinjuku Hands sind vom G-Funk der Westküste beeinflusst, die Musashinos von den kommunitaristischen Native-Tongue-Rappern, und die Gira Gira Girls vertreten die Traditionslinie von Lil’ Kim bis Nicki Minaj.

Während sich die Gangs auf Nebenschauplätzen ihre Reviere gegenseitig streitig machen, plant der Yakuza-Boss Buppa einen Coup. Mithilfe eines HipHop-Hohepriesters will er die Gangs gegeneinander ausspielen und das gesamte Tokio-Territorium übernehmen. Der Tochter des Priesters gelingt es jedoch, die Rivalen zu befrieden und in einem großartig choreografierten Showdown auf den gemeinsamen Feind einzuschwören.

„Tokyo Tribe“. Regie: Sion Sono. Mit Riki Takeuchi, Nana Seino u. a. Japan 2014

Die Besetzung des Yakuza-Bosses mit dem Takashi-Miike-Veteranen Riki Takeuchi darf man hier durchaus programmatisch verstehen. Während Miike bereits in seiner klassischen Werkphase angekommen ist, macht Sono weiterhin keine Anstalten, seinen Stil in eine konsistente Form zu überführen. „Tokyo Tribe“ steckt voller Einfälle, die Miike, dem Regisseur von „Ichi the Killer“, selbst in seiner Hochphase zu krude gewesen wären.

Die wahnsinnige Dichte an visuellen Bizarrerien verleiht „Tokyo Tribe“ dafür einen Drive, den sich wohl nur ein Regisseur bewahren kann, dessen Vorstellung von Kino dem Begriff der „Meisterschaft“ diametral entgegensteht.

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