Wohnen wird zu teuer: Genossen, ihr müsst raus!

Genossenschaft will Häuser aus den 1960ern durch Neubau ersetzen. Viele der Bewohner könnten sich die Miete nicht mehr leisten.

Schöner Wohnen muss nicht Abriss bedeuten. Sanierter Berliner Bau Bild: dpa

Der kleine Versammlungsraum des Wohnungsbauvereins Neukölln (WBV) in der Sonnenallee ist voll besetzt. An die 40 Personen sitzen eng gereiht auf Plastikstühlen, viele ältere sind darunter, Menschen, die das Leben nicht verwöhnt hat. Ihnen gegenüber steht ein Mann, Krawatte, gebräunt, gut sitzendes Sakko, und erklärt ihnen, warum sie – leider – bis Ende des Jahres ihre Wohnungen verlassen müssen: „Wir wollen mit Ihnen Lösungen finden, und wir werden Lösungen finden“, beteuert Falko Rügler, kaufmännischer Vorstand der Genossenschaft. Ungläubiges Murren in den hinteren Reihen.

Die Menschen im Raum sind Mieter der Häuser Heidelberger Straße 15–18, an der Grenze zu Treptow. Die 1960 gebauten Gebäude standen jahrzehntelang direkt an der Zonengrenze, von den Laubengängen der Stockwerke konnte man mit etwas Talent über die Mauer spucken. Das ist auch schon wieder lange her, und nun hat der Vorstand der WBV beschlossen, die Häuser abzureißen und durch einen modernen Gebäuderiegel zu ersetzen – nach neuesten Standards und natürlich barrierefrei, wie Rügler betont.

Das Problem für die jetzigen Bewohner: Kaum einer von ihnen könnte sich die Miete in dem Neubau leisten. Derzeit zahlen sie unter 5 Euro netto kalt, dann wären es 8,50 Euro, glaubt man Rügler und seinem Vorstandskollegen Uwe Springer. Sie beteuern, die Möglichkeit einer Sanierung ebenfalls durchgerechnet zu haben, das wäre aber am Ende kaum billiger geworden: marode Bausubstanz, ungedämmte Wände, und in den Decken steckt auch noch Asbest, der bei größeren Arbeiten an den Hausleitungen freigesetzt würde. „1960 wurde eben schlecht gebaut“, weiß Rügler.

Norbert Erdmann ist 65, er hat gesundheitliche Probleme und muss Schmerzmittel nehmen. Zu der Versammlung ist er dennoch gekommen, denn ihn macht der Umgang der Genossenschaft mit ihren Mitgliedern – das sind die Mieter alle – wütend. „An unseren Häusern wurde doch in den letzten 50 Jahren nichts gemacht“, sagt er, „dabei hätte der WBV von unseren Mieten etwas für eine Sanierung ansparen müssen.“

Im vergangenen Juni habe es eine erste Versammlung gegeben, berichtet Erdmann. Da sei den Mietern mitgeteilt worden, dass man über eine Sanierung nachdenke, im Herbst werde man die Entscheidung mitteilen. Nun hat es bis Ende März gedauert, aber dass der endgültige Beschluss zum Abriss erst vor einer Woche gefallen sein soll, wie der Vorstand beteuert, hält Erdmann für gelogen. Er belegt es mit einem Schreiben des Neuköllner Baustadtrats, der ihm bereits am 20. Februar bestätigt hat, die Abrisspläne zu kennen.

Erdmann und 14 weitere Mieter wollen sich nun den Plänen des Vorstands widersetzen: „Wir haben weder dem Auszug aus unseren Wohnungen noch dem Abriss der Häuser zugestimmt“, schreiben sie in einer Stellungnahme, die der taz vorliegt. „Wir erklären hiermit, dass wir nicht ausziehen werden.“ Sinn der Genossenschaft sei es, Menschen das Wohnen in dem sozialen Umfeld zu gewährleisten, in dem sie zum Teil schon seit Jahrzehnten lebten.

Dass sie nicht die gesamte Mieterschaft hinter sich haben, wissen die Protestler auch. „Bei der Versammlung im Juni lagen Bewerbungsbögen für Ersatzwohnungen aus“, sagt Norbert Erdmann. „Da ging es um gewünschte Wohnungsgrößen, da haben wir uns natürlich erst mal eingetragen.“ Nun ist bereits die Hälfte der gut 70 Mietparteien ausgezogen, die meisten in andere Genossenschaftswohnungen in Neukölln. Zum Beweis, dass am Ende doch alles gut wird, hat ein Mitarbeiter des WBV-Vorstands drei ehemalige Bewohner der Heidelberger Straße mitgebracht, die nun kurz sagen dürfen, wie zufrieden sie sind. „Bei mir wurde sogar der Klaviertransport übernommen“, lobt einer.

Die Übriggebliebenen werden es vielleicht weniger leicht haben, einen Ersatz zu finden, der für sie bezahlbar ist. Etliche leben von Hartz IV. Außerdem wollen sie gar nicht weg. Sie habe über die Jahre so viel in ihr Bad investiert, sagt eine ältere Frau. Und die Wohnungen, die man ihr gezeigt habe, hätten eine Wanne, keine Dusche. „Ich habe 100 Prozent Behinderung“, ruft sie aufgebracht, „da komme ich doch gar nicht rein!“ Vorstand Rügler wiegelt ab: Man werde sich um alle Fälle individuell kümmern.

Der 1902 als Beamten-Wohnungsbau-Verein in Rixdorf gegründete WBV verwaltet seine über 6.000 Wohnungen vom beschaulichen Dahlem aus. Ob man dort genügend Verständnis für die schwächsten Mitglieder am Rand von Neukölln aufbringen kann, wird sich zeigen.

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