Wölfe in Indien: Vergiftet und Vergast

Dem indischen Wolf geht es an den Pelz. Tier und Mensch konkurrieren um die knapp werdenden Steppen.

Um den Wolf zu schützen, muss man mit negativen Klischees vom „bösen Wolf“ aufräumen. Bild: dpa

INDIEN zeo2 | Der Wolf ist Parat Jit Singh nur durch Zufall in die Falle gegangen. Schneeleoparden, die ziegenartigen Himalaya Thars und Moschushirsche hatte der oberste Forstbeamte im Grenzgebiet von Indien, Nepal und Tibet durchaus erwartet. Aber dass ihm auf 3.500 Metern Höhe ein Tibetischer Wolf in die Fotofalle lief, damit war nicht zu rechnen: „Dass wir in diesem Hochtal einen Wolf sehen, ist wirklich überraschend“, staunt der Wissenschaftler Vipul Maurya, der die Expedition in den Bergen mit geplant hat.

Tibetische Wölfe im Himalaya – das war endlich mal wieder ein gute Nachricht für „Canis lupus“. Von Seiten der Indischen Regierung genießt der Wolf zwar höchste Priorität auf der Liste der zu schützenden Tierarten, doch bei der Bevölkerung ist er nicht beliebt. Klar: In den alten Volks- und Kinderliedern wird er als listiger Jäger gefeiert, der selbst die Menschen austrickst. Doch diese Hochachtung gegenüber dem weltweit verbreiteten Jäger ist auch in Indien längst Geschichte.

Der Wolf hat es nie zur Öko-Ikone gebracht wie die populären „Big Four“: Tiger, Löwe, Elefant und Nashorn. Das Tier ist auf dem Rückzug: Schon während der britischen Kolonialzeit galten Wölfe als Schädlinge. Zwischen 1875 und 1925 wurden laut indischem Staatsarchiv über 200.000 Wolfsfelle an offiziellen Sammelstellen registriert. Gerade der Indische Wolf, der Bewohner der trockenen Halbwüsten, wurde im Laufe der Geschichte immer wieder als gefürchteter Viehräuber gejagt.

Drei Unterarten des Grauwolfes gibt es auf dem Subkontinent: Die Himalaya-Wölfe (Canis himalayensis) sind die am stärksten dezimierten Vertreter ihrer Art und stehen auf der Roten Liste als „vom Aussterben bedroht“. Von der Unterfamilie sollen nur noch rund 350 Tiere leben, die ein kleines Gebiet in der Trans-Himalaya Region bevölkern – also in der Region von Jammu und Kashmir. Diese Abstammungslinie hat sich vermutlich schon vor mehr als 800.000 Jahren vom Rest der Art getrennt. Ihr dichtes, wolliges Fell lässt die Himalaya Wölfe die tiefen Temperaturen in der Höhe ertragen.

Nutzvieh oft einzige Nahrungsquelle

Der Tibetische Wolf (Canis lupus chanco) ist dagegen immer noch weit verbreitet und zieht durch die Höhen vom Kaspischen Meer bis in die Mongolei, er gilt als wenig bedroht. Bei ihm, vermuten manche Forscher, handele es sich um den eigentlichen Vorläufer des domestizierten Hundes: Anders als alle anderen Wolfs-Linien stimmt der Aufbau seines Unterkiefers mit dem der heutigen Hunde überein.

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Der Indische Wolf (Canis lupus pallipes) ist einer der kleinsten Vertreter der Wolfsfamilie überhaupt. Sein Fell ist sandfarben bis rötlich, kurz und dicht, er ist leicht mit den wilden Hunden in Indien zu verwechseln. Er lebt in den trockenen Steppen und gilt als wenig aggressiv. Aber die Tiere finden kaum mehr natürliche Beutetiere.

Nutzvieh ist oft die einzige Nahrungsquelle, so machen sie sich die Bauern zum Feind. Auf nur noch 2.000 Individuen schätzt Yadrendradev Jhala, Wolfsexperte am Wildlife Institute of India (WII), inzwischen die Zahl der Indischen Wölfe in Indien. „Die größte Bedrohung ist die Verfolgung durch Hirten. Die Wölfe werden vergiftet und die Welpen in den Bauten vergast“, sagt Jhala. Darauf stünden zwar bis zu zwei Jahren Gefängnis. „Das wird aber kaum durchgesetzt.“

„Der rasante Bevölkerungszuwachs in Indien führt außerdem zu einer vermehrten Umwidmung von Grasland in Bauland“, erklärt Abi Tamim Vanak, Forschungsleiter des Savannen-Projektes der Ashoka-Stiftung für Umwelt und Ökologie, der an einer flächendeckenden Erfassung der Grasland-Ökosysteme in mehreren Bundesstaaten arbeitet und Naturschutzpläne für die Trockengebiete erstellt. „Da es im offenen Grasland keinen Baumbestand gibt, werden die Gebiete von den Behörden als bloße Brachflächen eingestuft. Durch die Umwandlung in Bauland wird der ursprüngliche Lebensraum der Wölfe immer weiter beschnitten“, so Vanak.

So ist der Zusammenstoß von Tier und Mensch vorprogrammiert: Das Grasland bildet die Lebensgrundlage für viele Bauern, die die Flächen als Acker und zur Viehzucht nutzen. Auch stark gefährdete Tierarten wie Trappe, Bengalfuchs, Streifenhyäne und Hirschziegenantilope sind dort beheimatet. „Trotzdem haben Trockensavannen keine Lobby, weder in der Politik noch bei Umweltschützern“, klagt Vanak.

200 Quadratkilometer Raum pro Rudel

Ein Wolfsrudel besteht meist aus einem Elternpaar – den beiden tonangebenden Alpha-Tieren – und deren Nachkommen. Da jedes Rudel im Durchschnitt 200 Quadratkilometer Lebensraum benötigt, können sich neue Rudel kaum noch bilden. Die einzige Möglichkeit, den Wolf zu schützen, bestehe darum, ein gesellschaftliches Bewusstsein für die Gefährdung der Art zu schaffen und mit den negativen Klischees vom „bösen Wolf“ aufzuräumen. „Wir müssen Wölfe als Selbstverständlichkeit akzeptieren wie die Hunde auf unseren Straßen, nur dann haben sie eine Zukunft“, erklärt Bilal Habib, ein Wolfsforscher am Wildlife Institute im nordindischen Dehradun.

Habib zeichnet das nächtliche Konzert der Tiere auf, um die Größe der Populationen zu bestimmen: „Wölfe erkennen sich am Geheul.“ Denn jeder Wolf heult auf seine eigene unverkennbare Weise. Mit dem Mond hat das Heulen nichts zu tun. Untersuchungen am Wolf Science Center in Österreich haben gezeigt, dass Wölfe bei Trennung heulen: Wenn ein Tier aus einem Rudel am Wolf-Zentrum entfernt wurde, dann klagen die anderen Wölfe umso länger, je enger die Bindung an das vermisste Tier war und je höher es in der Ordnung des Rudels steht. „Wer zusammen heult, hält zusammen“, meint Habib.

Mit dem Schutz der Wölfe seien die Wald- und Forstbehörden „schlicht überfordert, sie müssten riesige Gebiete als Schutzzone deklarieren“, erklärt Habib. Gleichzeitig müssten Kompensationsleistungen für Landwirte besser geregelt werden, wenn Wölfe im Viehbestand wildern. Das in Maharashtra 2001 eingeführte Entschädigungsgesetz sei unausgereift und habe bislang weder den Bauern noch den Wölfen geholfen.

Ein Grund sei die Bestimmung, dass die Geschädigten beim Antrag auf Ausgleichszahlung den gerissenen Kadaver vorweisen müssen. Doch wenn man die Wölfe beim fressen störe, dann rissen sie einfach das nächste Tier – und verschärfen so den Konflikt. Inzwischen solle das entsprechende Gesetz geändert werden..

Gejagt und geächtet

Und in Karnataka im süd-westlichen Indien hat sich erstmals eine Allianz aus Anrainer-Gemeinden gegen die Umwandlung von 4.000 Hektar Grasland aufgelehnt. Die urzeitliche Region mit dem Namen Amrithmahal Kavals in Challakere sollte mit diversen Infrastrukturprojekten überzogen werden. Teile der Fläche sollten an die Militär- und Raumfahrtforschung, an naturwissenschaftliche Institute und sogar an die indische Atomindustrie gehen. Indische Umweltverbände sind gegen diese Pläne vor dem Obersten Gerichtshof in Karnataka und der Umweltschlichtungsstelle in Chennai Sturm gelaufen.

Gejagt und geächtet, ist der Wolf heute kaum mehr in der Lage, seinen Lebensraum selbst zu verteidigen. Die Zeiten, in denen er als Lebensretter verehrt wurde wie beim Findelkind Mowgli in Kiplings Dschungelbuch, sind vorbei, der Wolf ist ein Opfer des Bevölkerungswachstums. Der USamerikanische Beauftragte für die Wiederansiedelung des Grauwolfs in den Vereinigten Staaten, Ed Bangs, sieht noch eine Chance: „Der ideale Lebensraum des Wolfes ist im Herzen der Menschen. Dort müssen wir ihm eine Nische bewahren, um seine Ausrottung zu verhindern.“

Ananda Banerjee, Mitarbeit: Marcus Franken, Übersetzung: Bettina Seifried.  Der Artikel ist erschienen in der Ausgabe zeo2 1/2015. Den Artikel können Sie gerne auf unserer Facebook-Seite diskutieren.