Wissenschaftsgeschichtsschau in Berlin: Seefahrt und Giftschlangen

Die Berliner Schau „Juden, Christen und Muslime“ zeigt, wie sehr das „Abendland“ von islamischen Gelehrten profitiert hat.

Eine mittelalterliche Zeichnung mit einer rotgekleideten Person mit Stab, der in Richtung von Schlangen weist. Mehrere nackte Menschen sitzen

Schlangenbisse? Im Mittelalter wussten arabische Ärzte, wie man sie behandelt Foto: Österreichische Nationalbibliothek

Menschen, die gegen die Islamisierung des Abendlandes demonstrieren, stellen damit nur unter Beweis, dass sie keine Ahnung davon haben, was das Abendland ist und dass dieses Abendland nie zu dem geworden wäre, was es angeblich ist, hätte es nicht den Islam gegeben. Ganz abgesehen davon, dass diese Demonstranten Spanien und Portugal nicht zu Europa zählen, ist doch dort der starke Einfluss der islamisch-arabischen Kultur selbst im Alltag, bis hin zum Flamenco, deutlich zu erkennen – von Baudenkmälern mal ganz abgesehen.

Das beweist eine soeben im Berliner Martin-Gropius-Bau eröffnete Ausstellung unter dem Titel „Juden, Christen und Muslime. Im Dialog der Wissenschaften 500–1500.“ Einer bekannten Sottise nach entstand das Abendland auf drei Hügeln: der Akropolis, dem Zion sowie dem römischen Kapitol – nach Besuch dieser Ausstellung ist man versucht zu sagen: und einer Wüstenlandschaft, der Arabischen Halbinsel.

Ende des vierten Jahrhunderts christlicher Zeitrechnung zerfiel das Römische Reich in Westrom und Ostrom, später „Byzanz“ genannt. Damit ging dem lateinisch sprechenden Westen die Kenntnis der griechischen Sprache und damit der griechischen Philosophie – vor allem des Aristoteles – verloren. Ganz anders die aufstrebenden arabischen, islamischen Herrschaften, die überall dort, wo sie in Kontakt mit der spätantiken griechischen Kultur kamen, diese übernahmen, sich aneigneten und fortentwickelten.

Das demonstriert die Schau durch das Zeigen von Schriftrollen und Büchern, von Codices und Pergamenten – eine nur vermeintlich trockene Materie. Wer sich auf die Exponate einlässt, wird darüber staunen, wie bunt, wie farbig doch das zeitlich so ferne Mittelalter war, auch und gerade dort, wo uns seine Wissenskultur in vier verschiedenen Sprache nund Schriften entgegentritt: Griechisch, Latein, Hebräisch und Arabisch. Eine oströmische Ausgabe des Markusevangeliums aus dem 11. Jahrhundert zeigt den Evangelisten in blauem Gewand vor einem ebenso blauen Schreibpult, bärtig auf einem rosa Kissen sitzend, und dies alles vor einem leuchtend goldenen Hintergrund.

Umstrittene Astrologie, unerlässliche Astronomie

Doch irrt sich, wer nun meinte, dass es bei den ausgestellten Büchern, Folianten, Codices und Schriftrollen vor allem um Religion geht – genau das Gegenteil ist der Fall, es geht um Wissenschaft. Und zwar, das wird bestens nachvollziehbar und im Einzelnen luzide demonstriert, um Astronomie, um Astrologie, um Medizin sowie Mathematik. Es waren muslimische Wissenschaftler, die von den Griechen das ptolemäische Weltbild übernahmen und damit als Erste Instrumente ermöglichten, um sich auf See präzise zu orientieren. Nur unter Bezug auf diese Erkenntnisse war es später Forschern wie Tycho Brahe im 16. Jahrhundert möglich, auch ohne leistungsstarke Teleskope zu genauen Aussagen über den Lauf der Gestirne zu kommen.

Jahre vor den ersten abendländischen Universitäten entstanden im islamischen Osten regelrechte medizinische Hochschulen – so bereits im 9. Jahrhundert in Bagdad. Auch hier stand die Rezeption der griechischen Heilkunde, vor allem Galens, im Zentrum. Auf einem hinreißenden farbigen Bild, einer Miniatur aus einer arabischen Handschrift des 13. Jahrhunderts, sehen wir, wie ein reitender, mit Turban bekleideter Arzt von einem Pferd hinab auf einen rot gekleideten Knaben weist, der von einer Schlange in den Fuß gebissen wird. Thema dieser Schrift, verfasst von einem Johannes Philoponos, der sich arabisch Yahia an Nahwi nannte, sind Giftschlangen und Behandlungsmöglichkeiten von Schlangenbissen. Folianten aus dem 16. Jahrhundert weisen präziseste Abbildungen chirurgischer Instrumente auf.

„Juden, Christen und Muslime. Im Dialog der Wissenschaften 500–1500“ im Berliner Martin-Gropius-Bau, vom 9. Dezember bis zum 4. März 2018.

Umstritten war freilich die der paganen Antike entsprossene Astrologie, die nicht immer klar von der Astronomie geschieden war und von der Kirche von Anfang an strikt zurückgewiesen wurde: ließen sich doch aus dem Glauben heraus keiner anderen Größe Macht über die Menschen und ihr Leben zubilligen denn alleine Gott. Die Astronomie hingegen, die sich durch den Austausch jüdischer, christlicher und muslimischer Gelehrter entwickelte, war für diese Religionen unerlässlich: bot doch sie alleine eine Chance, den genauen Beginn und das Ende von in den heiligen Schriften vorgegebenen Feiertagen zu bestimmen.

Die Berliner Ausstellung beweist, was derzeit Islamisten ebenso wenig wie Rechtsradikale wahrhaben wollen, dass nämlich Friede, Toleranz und wechselseitige Begegnung von Judentum, Christentum und Islam über Jahrhunderte nicht nur möglich, sondern auch Realität waren; allerdings vor allem und beinahe ausschließlich im arabisch-islamischen Osten, nicht im christlichen Abendland mit seinem Judenhass und seiner Kreuzfahrermentalität.

Wer Bücher, wer alte Bücher und Handschriften liebt, kann das jetzt im Berliner Gropius-Bau anschaulich erleben und nachvollziehen.

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