Wintersport ohne Schnee: Frau Holle kommt aus Israel

Der „All Weather Snowmaker“ einer isaraelischen Firma versorgt die Wintersportler in Sotschi mit Schnee. Die Geschichte der Maschine ist erstaunlich.

So perfekt sieht der falsche Schnee in Sotschi aus. Bild: reuters

BERLIN taz | Es war in Guatemala, wo Wladimir Putin „wirklichen Schnee“ für Sotschi versprach. Das war 2007, und der russische Präsident holte mit seinem meteorologisch gewagten Versprechen die olympischen Winterspiele an die russische Schwarzmeerküste. Physikalisch betrachtet, hat Putin nicht gelogen: Das, was in Sotschi auf den Pisten und Loipen liegt, auch wenn es dort gar nicht geschneit hat, ist richtiger Schnee. Und er kommt aus Israel.

Was die Firma IDE Technologies nach Sotschi liefert, ist auch in etlichen Alpenregionen schon im Einsatz und heißt „All Weather Snowmaker“. „Es fühlt sich genauso wie echter Schnee an“, teilt die Firma mit, die ihren Sitz in der Kleinstadt Ramat HaSharon, etwa zehn Kilometer nördlich von Tel Aviv, hat. „Die Schneekristalle haben einen Durchmesser von weniger als 1,0 Millimetern.“

Mit Nachdruck verweisen die nahöstlichen Schneeexperten darauf, dass das, was aus ihren Maschinen kommt, „kein zerstoßenes Eis ist“. Ramat HaSharon liegt nahe dem Mittelmeer, Sotschi an der subtropischen Schwarzmeerküste. Beide Städte liegen nicht weit weg von keinesfalls schneesicheren Skigebieten: Mount Hermon im nördlichen Israel, Krasnaja Poljana im südlichen Russland.

Gerade die relative Ferne zu natürlichem Schneefall ist es, die erklärt, warum ausgerechnet eine israelische Firma mit ihrem Produkt den Weltmarkt aufmischen kann. „Niemals zu warm für die Beschneiung“ ist der Werbeslogan von IDE, und in Zeiten zurückgehender Gletscher und allgemeiner Klimaerwärmung steigt die Nachfrage für den All Weather Snowmaker sogar in klassischen Wintersportregionen, die bislang nie ein Schneeproblem hatten.

Der Amerikaner Porter Fox, der gerade das Buch „Deep: The Story of Skiing and the Future of Snow“ vorgelegt hat, geht davon aus, dass es in den nächsten zehn, zwanzig Jahren zu einem dramatischen Wandel in den Skigebieten kommen wird. „Und in den nächsten fünfzig bis siebzig Jahren kommt es zu einem katastrophalen Umbruch“, sagte Fox jüngst der linken US-Zeitschrift Mother Jones. In den USA beispielsweise habe sich „die Rate der Erwärmung im Winter seit 1970 verdreifacht“.

Entdeckung aus Südafrika

Die ökologische Krise birgt für kleine Anbieter wie IDE Technologies Marktchancen. Und zwar solche, die von den israelischen Ingenieuren gar nicht gezielt gesucht wurden. Die Anfänge des israelischen Schnees liegen an einem noch kurioseren Ort als dem Mittelmeer: in Südafrika, nahe Johannesburg.

Dort hatte IDE 2005 in einer Goldmine eine riesige Kühleinrichtung installiert. Quasi als Abfallprodukt fiel eine Art Eis an. Schon die Kühltechnik selbst ist ein Nebenprodukt – nämlich der Meerwasserentsalzung, an der in Israel seit den sechziger Jahren gearbeitet wird.

Der Ingenieur Avraham Ophir bemerkte, dass es sich um Schnee handelte, der da in der Goldmine auf einem Hügel, auf dem die Kühlanlage stand, lag. In Sibirien, wohin er in der stalinistischen Sowjetunion mit seinem Vater, der auf der Flucht vor den Nazis war, deportiert worden war, hatte Ophir Skifahren gelernt. Nun rief er seinem Kollegen zu: „Moshe, besorg mir Skier!“

Der Ingenieur Moshe Tessel, der noch nie Schnee gesehen hatte, fand in Johannesburg tatsächlich einen Skiverleih. Und Ophir, damals schon 72 Jahre alt, führte auf dem weißen Berg in der Goldmine elegant vor, wie Slalom funktioniert. Israelische und südafrikanische Zeugen sollen sehr gestaunt haben.

Schnee mit finnischem Gütesiegel

Die Israelis googleten den Namen eines finnischen Skitrainers mit Olympiaerfahrung, den sie einfliegen ließen. Der fuhr Slalom, ließ das weiße Pulver durch die Finger rieseln und lobte die exzellente Qualität des Schnees.So begann die Erfolgsgeschichte des IDE Snowmaker, die jetzt in Sotschi einen Höhepunkt erleben soll.

Anders als die üblichen Schneekanonen braucht der Snowmaker keine Temperatur unter null Grad und keine hohe Luftfeuchtigkeit. Auch die Energieeffizienz – so verkündet zumindest IDE – sei gut: achtzig Prozent weniger Energieverbrauch als bei anderen Schneemaschinen. „Bei beliebigen Umgebungstemperaturen“, heißt es bei der Firma, werde „umweltfreundlicher und qualitativ hochwertiger Schnee erzeugt“.

In Sotschi ist man genau darauf angewiesen, und zwar in großem Maßstab. Deshalb kommt der Schnee nicht nur aus Israel. Auch amerikanische Anbieter wie die Snow Machines Inc. liefern Maschinen. Man spricht davon, dass seit Dezember 150 bis 175 Prozent des berechneten Schneebedarfs produziert wurde, unter Planen liegt und gegebenenfalls auf die Pisten und Loipen geschafft werden kann. Das entspricht einer Menge von 500 Fußballfeldern mit mehr als einem halben Meter Tiefe.

Der All Weather Snowmaker, der mithilft, dieses – ökologisch umstrittene – Wunder zu fabrizieren, ist ein 12 Meter hohes Monstrum und 30 Tonnen schwer. Weil er optisch sehr an einen Getreidesilo, aus dem viele Schläuche und Rohre kommen, erinnert, wird er meist in einen Holzverschlag gestellt. Eines dieser hässlichen Ungetüme soll 1,5 Millionen Euro kosten.

Trotz des stolzen Preises finden sich solche Bretterbuden, hinter denen Hightech-Schnee produziert wird, mittlerweile auch oft in den Alpen. Das schweizerische Zermatt etwa hat für seinen Theodulgletscher nahe dem Kleinmatterhorn – ein Ganzjahresskigebiet, das wegen des Gletscherrückgangs kleiner zu werden droht – eine Maschine gekauft. Beliebt ist der All Weather Snowmaker ebenfalls in klassischen Wintersportorten, in denen die Tourismusindustrie die Skisaison früher beginnen lassen möchte. Auch nahe der Zugspitze steht eine Maschine.

Besonders oft im Einsatz ist das Gerät aus Nahost am Tiroler Pitztalgletscher. Hierhin reisten schon 2009 die russischen Olympiaorganisatoren mit einer hochrangigen Delegation, um sich die Kunst des israelischen Schneemachens vorführen zu lassen. Und sie gleich für die Spiele in Sotschi zu kaufen.

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