Wien sucht nach Orientierung: Mahnwache, Protest und Vengaboys

Während Engagierte Porträts von Holocaustüberlebenden schützen, demonstrieren Tausende gegen Rechts – mit den Vengaboys.

Bild: picture alliance/Helmut Fohringer/APA/dpa

von VINCENT BRUCKMANN

Beobachtet man Asma Aiad von der Muslimischen Jugend Österreich, hat man das Gefühl, dass es um Österreich nicht allzu schlecht bestellt sein kann. Mal steht, mal sitzt sie mit anderen jungen österreichischen Muslima Wache an den Porträts von Holocaustüberlebenden am Wiener Burgring. Die Porträts wurden vor einigen Tagen zerstört. Das soll nicht nochmal passieren.

Die Zerstörungen können als Symptom eines politisch zerrütteten Österreichs gelesen werden. Es befindet sich vermutlich in der größten Regierungskrise seiner Geschichte: FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache musste nach dem „Ibiza-Video“ zurücktreten, die konservativ-rechtspopulistische Koalition zerbrach, (Ex-)Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wurde durch ein Misstrauensvotum aus dem Amt gefegt, der Bundespräsident hat inzwischen eine Expert*innenregierung eingesetzt. Die politische Landschaft in Österreich ringt um Orientierung.

Es ist Donnerstag, Christ-Himmelfahrt und die Wiener*innen und Tourist*innen schlendern durch das Stadtzentrum. Sie fotografieren sich vor den Prachtbauten aus der Kaiserzeit, die heute Museen beherbergen und die erahnen lassen, wie mächtig die Habsburger Monarchie gewesen sein muss. Sie gehen vorbei am Maria-Theresien-Platz, in Richtung der Neuen Burg, die von den prächtigen Museen durch den Burgring getrennt werden.

Die Beschützer*innen eines Porträts einer Holocaustüberlebenden Bild: Vincent Bruckmann

Mahnwache für mahnende Porträts

Entlang des Rings werden seit Anfang Mai 90 großformatige Porträts von Holocaustüberlebenden ausgestellt. Man blickt in alte, faltige Gesichter, die viel Leid gesehen haben. Zahlreiche Porträts wurden vor einigen Tagen mit Hakenkreuzen beschmiert, beschmutzt oder zerschnitten.

„Wir wollen mit ihrer Mahnwache ein klares Zeichen gegen Antisemitismus setzen“, sagt Asma Aiad und sieht dabei etwas erschöpft aus. Den Zehrungen des Ramadanfastens zum Trotz stehen sie hier gemeinsam mit Jugendlichen der Young Caritas, Wiener Pfadfinder*innen und den Künstler*innen des Theatervereins Nesterval und beschützen die Ausstellung vor weiteren Angriffen. Alle Hundert bis Zweihundert Meter steht ein Zelt einer der Organisationen. Passant*innen kommen vorbei, bedanken sich bei den Freiwilligen, die hier schichtweise Tag und Nacht campieren und bringen Essen oder Getränke vorbei.

Eine der Freiwilligen, die nur bei ihrem Künstlernamen, Frau Löfberg, gennant werden will, war laut eigenen Angaben als eine der Ersten vor Ort. Sie hörte von den Zerstörungen, fuhr sofort zum Burgring und ihr wurde klar, dass sie dort auch nicht mehr so schnell weggehen würde. In mehreren Schichten wachen sie und die anderen Freiwilligen Tag und Nacht über die Porträts. Für sie hat das Traurige, die Zerstörung auch etwas Positives. Die Menschen würden sich freuen, konkret aktiv werden zu können: „Man hat das Gefühl, dass die Zivilgesellschaft erleichtert ist, zu sehen, dass Gutes da ist und passiert.“ In diesen Zeiten politischer Orientierungslosigkeit bekommt das zivilgesellschaftliches Engagement in Wien erfrischenden Rückenwind.

Tanzen für eine solidarische Gesellschaft

Nur wenige hundert Meter Luftlinie entfernt, auf dem Ballhausplatz, in Sichtweiter der Neuen Burg, bauen andere Aktivist*innen gerade ihren Stand auf. Die Organistaor*innen der sogenannten Donnerstagsdemos protestieren seit Regierungsantritt der Koalition aus ÖVP und FPÖ jeden Donnerstag gegen eine „Ausgrenzungs- und Spaltungspolitik“, wie Markus Wailand vom Bündnis „Wieder Donnerstag“ es nennt.

Die FPÖ mag aus der Regierung verschwunden sein, doch das ist kein Grund, die Donnerstagsdemos vor dem Kanzleramt in Wien einzustellen Bild: Vincent Bruckmann

Und obschon die Koalition von ÖVP und FPÖ vorbei ist, müsse weiterhin demonstriert werden, meint Wailand. Die Politik der alten Regierung wirke immer noch fort, sagt er. Nach den Neuwahlen im September könne der Kanzler sehr wahrscheinlich wieder Sebastian Kurz heißen. Aber immerhin gebe es jetzt eine kurze Ruhepause.

Von Ruhe ist auf dem Ballhausplatz aber nichts zu spüren. Die Band Vengaboys, die mit ihrem 90er-Jahre Hit „We're going to Ibiza“ unfreiwillig den Soundtrack zur Ibiza-Affäre von Heinz-Christian Strache geliefert hat, ist extra aus den Niederlanden angereist. Sie liefern mit Silberoutfits und Konfetti beste trashige Protestunterhaltung. Die Demoteilnehmer*innen danken es Ihnen mit Mitsingen und Beifall.

Die laut Polizeiangaben 5.000 bis 6.000 Demonstrant*innen tanzen zu den Ohrwürmern der 1990er, während am Burgring Künstler*innen, junge österreichische Muslima und Aktive aus anderen Jugendorganisationen Wache halten, um die Erinnerung an die schreckliche Vergangenheit aufrechtzuerhalten. Ein zivilgesellschaftliches Spannungsverhältnis, das nicht nur den Wiener*innen den Aufbruch in eine engagierte und solidarische Zukunft verspricht.