Weniger Gefahrengebiete: Regierung pfeift die Polizei zurück

Schleswig-Holstein entschärft auf Piraten-Druck das Polizeigesetz. Dauerhafte Gefahrengebiete an den Küsten und der dänischen Grenze darf es nicht mehr geben.

Kontrolle in der Nähe der dänischen Grenze: Nach einem Terroranschlag in Kopenhagen kontrolliert die Polizei verstärkt Autos Foto: Benjamin Nolte/dpa

KIEL taz | Es war wohl eher dem Zufall und den heftigen Kontroversen um die Gefahrengebiete in Hamburg geschuldet, dass die Abgeordneten des Schleswig-Holsteinischen Landtags im Mai 2014 von ihrer Existenz erfuhren: In Schleswig-Holstein machte die Polizei seit Jahren unbemerkt vom Instrument der Gefahrengebiete Gebrauch – so war fast das gesamte Nordland ein einziges Gefahrengebiet.

Besonders die Piratenpartei kritisiert diese Praxis der Polizei: „Die Ausweisung von Gefahrengebieten diffamiert Millionen von Menschen und stellt ganze Städte und Regionen als potenziell gefährlich dar“, sagte schon 2014 der Abgeordnete der Piraten Patrick Breyer. Nach einer Gesetzesinitiative seiner Partei zur Abschaffung der Gefahrengebiete hat nun die Regierungskoalition aus SPD, Grünen und SSW reagiert und vorige Woche durch den Innen – und Rechtsausschuss des Landtags eine Gesetzesnovelle mit weitreichenden Einschränkungen der Gefahrengebiete auf den Weg gebracht.

Den Persilschein für die Polizei hatte 2007 der damalige Innenminister Ralf Stegner (SPD) in der Großen Koalition durch die Verschärfung des Paragrafen 180 des Landesverwaltungsgesetzes ausgestellt. Demnach durfte die Landespolizei – angeblich zur Bekämpfung von Schleusung und Schmuggel – in einem 30 Kilometer breiten Korridor südlich der dänischen Grenze und entlang der Nord- und Ostseeküste „zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten von erheblicher Bedeutung, Personen kurzzeitig anhalten und mitgeführte Fahrzeuge einschließlich deren Kofferräume oder Ladeflächen in Augenschein nehmen“.

Die zuständigen Polizeidirektionen dürfen die Sicherheitszonen drei Mal für 28 Tage anordnen, sofern „Tatsachen, insbesondere dokumentierte polizeiliche Lageerkenntnisse, dies rechtfertigen“, heißt es nebulös. Erst nach 84 Tagen muss die Polizei das Gefahrengebiet vom örtlichen Amtsgericht überprüfen lassen.

Tatsächlich machten auch andere Polizeidirektionen von dem Instrumentarium Gebrauch und erklärten Bad Segeberg, Ratzeburg, Reinbek, Geesthacht und Neumünster zeitweilig zu Gefahrengebieten. Dazu kommt, dass auch Stadtviertel von Kiel, Lübeck sowie Teile des Herzogtums Lauenburg und des Kreises Stormarn zeitweise als Gefahrengebiete ausgewiesen worden sind – Neumünster sogar fünf Jahre lang wegen der Rockerkriminalität. In Lübeck nutzte die Polizei die Möglichkeit unmittelbar vor einer Neonazi-Demonstration, ein anderes Mal bei einem Fußballspiel.

Angeblich hatten die Kieler Parlamentarier von dem Ausmaß nichts gewusst. FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki und selbst der Landesdatenschutzbeauftragte Thilo Weichert waren überrascht, dass die Polizei den gesamten Hamburger Rand in den Wintermonaten November 2013 bis März 2014 zur Bekämpfung von Einbrüchen zum Gefahrengebiet erklärt hat.

In der von der Piratenpartei initiierten Anhörung zur Gesetzesnovelle der Gefahrengebiete ließen die Gutachter aus Polizei und Justiz – außer den Polizeigewerkschaften – dann auch kein gutes Haar an dem Instrumentarium. Diskriminierend, stigmatisierend, ungeeignet, unnütz, kontraproduktiv und verfassungswidrig sei dies.

Die Anhörung hat die Regierungskoalition zum Umdenken gebracht: Künftig sollen Gefahrengebiete nur noch an Kriminalitätsschwerpunkten eingerichtet und öffentlich angekündigt werden, die permanente Sonderzone in Grenz- und Küstennähe entfällt. „Dass diese Praxis jetzt eingedämmt und transparenter gemacht wird, ist ein Erfolg und ein Fortschritt für Bürger und Polizei“, freut sich der Abgeordnete Breyer.

Gleichwohl dürfte das neue Gesetz zu Gefahrengebieten weiterhin verfassungswidrig sein, sagt der Pirat. „Verdachtslose Kontrollen bleiben ein Einfallstor für Diskriminierung und Stigmatisierung.“ Es fehle jede Eingrenzung der zu kontrollierenden Zielgruppe. „Verdachtslose Kontrollen ins Blaue sind ein grundrechtswidriges und völlig ineffizientes Mittel zur Strafverfolgung.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.