Weltuntergangstriptychon auf der Bühne: Erschreckende Prognose

In Göttingen wird Georg Krieger wiederentdeckt: Das Theater-Triptychon entwirft ein düsteres Bild kapitalistischer Entwicklung.

Mann in weißer Uniform steht zwischen Trommlern auf der Bühne

Formelhafte Typen: Fürs revolutionäre Subjekt hat Georg Kaiser keinen Platz. Foto: Thomas Aurin

BREMEN taz | Realismus, nein danke! „Und schon gar nicht dies Geschnattere der Gegenwartsautoren, mit dem sie behaupten, so würden Menschen heute reden“, bezieht Regisseur Maik Priebe Stellung. „Ich will wahnsinnig sprachmächtige Stücke“, fordert er. „Außer Elfriede Jelinek, Dea Loher und mit Abstrichen Roland Schimmelpfennig kann das doch keiner mehr.“

Priebes Dramenfaszination schweift deswegen rund 100 Jahre zurück. Der 38-Jährige liebt Hans Henny Jahnn, dessen Werke immerhin ab und an das deutsche Stadttheaterlicht erblicken. Er schätzt Ernst Barlach, der keine Aufführungslobby mehr hat. Und will unbedingt Georg Kaiser wiederentdecken.

Dazu bietet ihm das Deutsche Theater Göttingen nun die Chance. Am heutigen Samstag bringt Priebe Kaisers drei Generationen umspannendes Familienepos zur Premiere. Entstanden sind “Die Koralle“, „Gas 1“ und „Gas 2“ zwischen 1916 und 1920 als Reaktion auf das industrielle Massenmorden des Ersten Weltkriegs - ein von expressionistischer Unruhe durchpulstes Weltuntergangstriptychon. „Kaisers Opus magnum“, schwärmt Priebe, „ein extrem politischer Brocken.“

Um einen prototypischen Unternehmer drehen sich die Stücke. Der hat eine Geschäftsidee und ist ausreichend rücksichtslos, sie radikal durchzuziehen. Schließlich stellt er als Gasmonopolist die Energieversorgung der ganzen Welt sicher, wird reicher und reicher. Ein Mogul ist geboren, ein klassischer Ausbeuter, Machtmensch, Unterjocher.

Alle Figuren Kaisers sind so ins Formelhafte gesetzt: Typen. Sie haben keine Namen, heißen Milliardär, Sohn, Tochter oder Ingenieur. Aber im korallenharten ersten Teil des Werks gibt es zumindest noch Anklänge an den Psychologismus eines Strindberg oder Ibsen.

Dort will Priebe auch ästhetisch anknüpfen, ganz dezent kammerspielartig. Aber wie umgehen mit dieser Sprache: mal poetisch weich, mal pointiert hart, immer kurzatmig gehetzt komponiert? Soll man sie expressiv loslodern lassen - oder sachlich rezitieren?

Gerade die Künstlichkeit produziere eine Distanz zum Publikum, die Assoziationen und Mitdenken erst ermögliche, ist Priebe überzeugt. Kaiser sei da mit Brechts Anti-Einfühlungsdramatik auf Augenhöhe, findet er. Um das zu betonen, fordert er von seinen Darstellern die Trennung von Körpersprache und gesprochenem Wort.

Wenn der Fabrikantensohn beispielsweise erkennt, dass das Gasimperium einerseits das Wirtschaftswachstum befeuert, anderseits aber die Arbeiter zu Vollstreckern und Opfern der Produktion, also immer entmenschter werden, „dann trägt er die Analyse extrem scharfsinnig, selbstbewusst sachlich vor“, verrät Priebe. Seine Haltung aber, schlurfend gekrümmt, widerspreche der disziplinierten Überlegenheit.

Um den Rücken wieder geradezubiegen, lässt er die Arbeiter am Gewinn des nun vergesellschafteten Unternehmens teilhaben. Mit der Folge, dass sie noch mehr produzieren, weil sie so noch mehr Geld einstreichen können. Das System, die Gaswerke, bringt diese Gier indes zur Explosion.

Nach dem Wiederaufbau werden sie verstaatlicht. Es ist Krieg: statt Gasvolumina werden nun Gaswaffen produziert. Kaisers Thesentheater ist bekannt für solche Denkspiele. „Und liefert in diesem Fall eine hellsichtige Prognose unseres heutigen Lebens- und Wirtschaftsprinzips“, meint Priebe. Deutlich werde dabei auch das Scheitern der Alternativen.

Der Mensch, als revolutionäres Subjekt taugt er also nicht? „Der Sozialismus ist erst mal eine interessante Idee“, meint Priebe. „Aber die Menschen sind dafür eben nicht gemacht. Anstatt aus der Geschichte zu lernen, machen sie einfach weiter“, sagt er. Und machten alles noch schlimmer.

Aber gibt es nicht einen Unterschied zwischen dem Industriekapitalismus, den Kaiser beschreibt, und der heutigen globalisierten Variante? „Der ist marginal“, findet Priebe. Den zweiten Teil des Abends will er deshalb im sozialistischen Agitpropstil inszenieren. Zunehmend werde das Stückpersonal zu Chören gruppiert, agiere schließlich als „marodierende Masse“.

Der dritte Teil dann: Krieg in einer abstrakten Form, Blau kämpft gegen Gelb. Apokalyptisch geht es zu, durch ein Meer von Videobildern kröchen vermummte Figuren, erzählt der Regisseur. Erinnerungen an Tschernobyl, Fukushima und aktuelle Giftgasangriffe in Syrien würden wachgerufen.

Rot glüht so der narrative Faden des Stationendramas: Der lernbehinderte Mensch strebt hinaus aufs freie Feld seiner Ideen, gerät hinein in den Dschungel der Verwirklichung, stürzt hinab in den Tod. Und am Horizont nicht ein Hoffnungsschimmer? Priebe winkt ab: „Nein, absolut nein!“

Premiere: Sa, 13. 6., 19.45 Uhr, Deutsches Theater Göttingen. Weitere Aufführungen: 19. 6., 24. 6., 7. 7., 14. 7. und 20. 7.

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