Weltklasse-Talent Sampha: Das Klavier kennt ihn am besten

Der britische Produzent Sampha saß für viele Stars am Mischpult. Nun veröffentlicht er sein eigenes gefühlvolles Debütalbum „Process“.

Sampha Sisay

Er hat was von einem Mystiker: der Londoner Sampha Sisay Foto: Young Turks

Sampha ist außer Atem. Seine Stimme bricht immer ab, wird unterbrochen von heftigem Ringen nach Luft. Im Song „Blood on me“ rennt der vielversprechende Newcomer der britischen HipHop-Szene im Albtraumszenario vor seinen Verfolgern davon. Der eingängige Beat, der über seine Stimme, handgespielten Drums und einem Klavier aufgebaut ist, macht seine Anspannung spürbar. Im Interview erklärt der 28-Jährige Londoner Produzent und Sänger, dass er sich in dem Song mit seiner Psyche und seinen Ängsten auseinandergesetzt habe. Dass die Hookline selbst bei einem solchen Thema Ohrwurmqualität hat, zeichnet Sampha Sisays Stil aus.

Die Beats auf seinem Debütalbum hat er alle selbst programmiert; sie sind innovativ und weisen neben melodischen Verläufen immer rhythmische Spiele mit elektronischen Drums auf. Das ist radiotauglich und doch kein Mainstream. Das Album heißt „Process“.

Vor dem Soundcheck seines ersten Konzerts in Berlin im November kommt er in Vintage-Trainingsjacke und Jogginghose in die Berghain Kantine. Ein bisschen verschlafen und von Natur aus schüchtern murmelt er, dass er kaum Nachtruhe bekommen habe. So höflich, wie es in England selbstverständlich ist, entschuldigt er sich dafür. Ob der Prozess denn jetzt beendet sei? Bei dieser Frage muss er lachen. „Der Prozess ist nie beendet. Aber irgendwann kannst du ihn stoppen, und das habe ich mit dem Album gemacht.“

Er habe es zu einem musikalischen Buch, einer Momentaufnahme über zwei Jahre gemacht. Im Mai 2014 seien die ersten Songs entstanden. Nachdem seine Mutter 2015 verstarb, widmete sich Sampha ausschließlich der Komposition und Produktion der Songs. „Process“ wurde also zu einer Art emotionalen Heilungsgeschichte von seinem persönlichen Erlebnissen.

Wenn Rick Rubin anklopft

Zwischendurch klopften dann die Granden der Musikindustrie an seiner Tür: Rick Rubin, ­Kanye West oder Solange Knowles. Inzwischen hat Sampha seine erste Solo-Tour durch die USA absolviert, ein Konzert bei „Saturday Night Life“ mit Solange, eine Solo-Performance bei der „Jimmy Fallon Show“ und ausverkaufte Konzerte in ganz Europa. Das Gefühl, dass man 2017 an dem Londoner nicht vorbeikommt, hatte sich länger angekündigt. Seine sanfte und charakteristische Stimme hörte man bereits auf Kanye Wests Song „Saint Pablo“ und zuletzt im Refrain von Solanges Single „Don’t Touch My Hair“. Bei seinem vollen Terminkalender ist es kaum vorstellbar, dass alles im kleinen Home-Studio seines Bruders angefangen hat.

Als Jüngster von fünf Brüdern ist Sampha in den Weiten des Londoner Speckgürtels aufgewachsen. Seine Eltern stammen aus Sierra Leone in Westafrika, doch sein Vater verstarb bereits, als er neun Jahre alt war. Er war es, der das Klavier im Wohnzimmer kaufte, als Sampha noch ein Kleinkind war. Davon angezogen, verbrachte Sampha ganze Nachmittage an dem Instrument, ohne jemals Unterricht genommen zu haben. Der kam erst später. Eine Liebeserklärung an dieses Klavier ist auf dem bluesigen Song „No one knows me like the Piano“ hören. „Es ist durchaus kitschig, ich war mir nicht sicher, ob ich das so stehen lassen könnte“, sagt er darüber.

Sampha: „Process“ (Young Turks/Beggars/Indigo)

Wenn Sampha spricht, hat man oft das Gefühl, dass er sein Können und Werk hinter Understatement verbirgt. Aber das liegt an seiner höflichen Art. Denn zu unserem Glück hat er sich dazu entschieden, den Song so zu veröffentlichen und ihn seiner Mutter zu widmen – die Melodie und vor allem seine fragile Stimme bleiben im Ohr. Das Lied ist eines der Highlights des neuen Albums. Besonders schön ist es vor allem, weil es aus kaum mehr als Samphas Gesang und einer Klaviermelodie besteht. So viel Reduktion ist bei Elektronik-Produzenten ungewöhnlich.

Energie im Raum

Langsam gewöhnt sich Sampha daran, auch als Sänger wahrgenommen zu werden. Trotzdem bevorzugt er es, nicht im Mittelpunkt zu stehen. Seine Leidenschaft werde immer am Mischpult liegen, beim Produzieren. Dass seine Musik und die Melodien gleichzeitig Pop sind und Soul haben, kommt von seinen Vorbildern. Ganz vorne steht da Stevie Wonder. Wie dieser ist auch Sampha ein intuitiver Musiker. Es seien die vielen Aufnahmegeräte in der alten Wohnung seines Bruders, die zu ihm sprachen und mit denen er sich ausdrücken kann. Die tausend Möglichkeiten, den Sound eines Stückes zu beeinflussen, faszinieren ihn. So liebt er es, wenn er als Produzent alle Aufnahmespuren vor sich hat und daraus etwas Neues kreieren kann.

Was er an Kollegen wie Rick Rubin schätze? „Zu sehen, wie sie arbeiten, war lehrreich. Ich habe realisiert, dass es gar nicht nur Handwerk ist, was einen Produzenten ausmacht. Es ist die Energie, die im Raum durch eine Person entsteht.“

Und diese Kraft spürt man besonders in den ersten Liedern von Samphas Album. Sie klingen ungewöhnlich und doch zugänglich. Die Vielfalt der Musik, mal Pop, mal bluesy oder balladesk, macht „Process“ zu einem außergewöhnlichem Debüt. Die Energie, die Sampha im Gespräch nur mit anderen in Verbindung bringt, verkörpert er auf seinem Album nun selbst. Das würde er so nie zugeben.

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