Wahlkampfgetöse in Aachen: Busfahren gratis - aber nur ein bisschen

In Aachen wollen SPD und Grüne den Verkehrsinfarkt mit kostenlosem Busfahren beheben. Hört sich erstmal gut an, aber: Die freie Fahrt gilt nur für ein paar Stationen.

Klassische Win-Win-Situation? Bild: ap

AACHEN taz Die Nachricht klang sensationell: "SPD und Grüne wollen das Busfahren in Aachen revolutionieren", hieß es in der Aachener Presse. Erstaunt las man von einer "Deutschland-Premiere": Die Busnutzung soll umsonst sein, kein Ticket mehr, im Stadtzentrum könne man bald nach Belieben ein- und aussteigen. So will es die rot-grüne Rathausmehrheit. "Das gibt es in keiner anderen Stadt", jubelt der grüne Ratsdino Michael Rau. Profitieren würden alle, sagt Rau: Einzelhandel, Innenstadtbewohner, Besucher, die städtische Busfirma Aseag "und nicht zuletzt das Klima", kurz: "Eine klassische Win-Win-Situation." Geplanter Start: 1. Juni.

Eine Sensation? Die Wende in der Verkehrspolitik, ausgelöst durch eine freche Stadt in Randlage? Wirklich eine Revolution?

Im Jahr 2009 wird in Aachen, passenderweise auch im Juni, kommunalgewählt. Also alles nur ein Wahlgeschenk? Zumal im Juni nach 20 Jahren im Amt SPD-Oberbürgermeister Jürgen Linden ("der kleine Kaiser von Aachen"), auch unter politisch Andersdenkenden geschätzt und gleichwohl einflussreich vernetzt in alle Verästelungen der Stadt, nicht mehr antritt. Da werden die Felle ganz neu und besonders ungewiss verteilt.

Aachens Verkehrspolitik hat, wie vielerorts ähnlich, wenig Erbauliches zu bieten: Durch eine verkehrsflussverhindernde Rote-Welle-Politik ("Pförtner-Schaltungen") werden an Ampeln genau die Autoabgase erzeugt, derentwegen jetzt auch in Aachen die Einführung von Umweltzonen droht. Auch nach 20 Jahren rot-grüner Mehrheiten (mit Pause dazwischen) gibt es kein umfassendes Radwegekonzept, nicht mal eine Kennzeichnung von Sackgassen, ob sie für Fußgänger und Radfahrer passierbar sind. Eine Stadtbahn (statt der fahrlässig 1974 abgeschafften Straßenbahnen) wurde immer wieder diskutiert, ist aber offenbar nicht finanzierbar.

Das Auto herrscht, die enge Stadtzentrum ist Verkehrsinfarktzone geblieben. Auch die "Autofreie Innenstadt" Anfang der 90er-Jahre, ein wirklich spektakuläres Projekt, war bald restlos an der rabiaten Lobbyarbeit der Kaufmannschaft gescheitert, die mit Horrorszenarien wie "Aachen ist nicht mehr erreichbar" den Teufel rief, den sie dann wütend bekämpfte.

Die politischen Gegner wurden von der Ankündigung der mutmaßlichen Busrevolution staunend auf dem falschen Fuß erwischt, sprechen schnell von "populistischem Schnellschuss" (FDP) und einer Aktion nach dem Motto "Jetzt noch mal Freibier für alle" (CDU). Dabei gibt es Freibier nur für wenige: Denn die Freie Fahrt gilt nur innerhalb des Alleenrings (rund um Einkaufsstraßen, Dom und Altstadt) und macht schätzungsweise gerade mal 2 Prozent der Fahrten insgesamt aus. Wer von außerhalb des Stadtzentrums kommt, muss weiter zahlen. Der Nulltarif hat für Einwohner also kaum Sinn, sondern sei, spottet der Stadtrat der Linken, Andreas Müller, eher als "eine Maßnahme der Tourismusförderung" zu begreifen. Ob der Plan im Rathaus eine Mehrheit findet, ist überdies ungewiss, weil gerade eine Sozialdemokratin aus ihrer Fraktion ausgetreten ist.

Die Kommentare der Bürger reichen von "Bauernfängerei im Wahljahr" und "Nur Wahlkampfgetöse" bis zu "Endlich ein Anfang … her mit dem pauschalen Bürgerticket für alle … ein tolles Signal". Tatsächlich, auch Teilfreifahrten wären zumindest eine wirksame Geste als verkehrspolitisches Vorbild. Die Aachener hatten übrigens elf Jahre Zeit, um nur 60 Kilometer nach nebenan zu gucken, ins belgische Hasselt, die drittgrößte Geschäftsstadt des Landes: Dort gibt es seit 1997 stadtweit freie Busnutzung, mit ausnahmslos besten Erfahrungen. Win-Win total. Nicht nur erstes Win-Winchen.

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