Vorwurf gegen türkische Agentur Anadolu: Linke vermutet Spähattacke

Sevim Dağdelen empört sich – man habe sie innerhalb des Bundestags bei einem Treffen mit einem kurdisch-syrischen Politiker heimlich fotografiert.

Sevim Dağdelen steht am Rednerpult des Bundestages

Türkische Medien stellen die Abgeordnete Sevim Dağdelen (Die Linke) unter Terrorverdacht Foto: imago/Jens Jeske

BERLIN taz | Die Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen sieht sich als Opfer einer Spähattacke. Die Linkspartei-Politikerin wirft einem Journalisten der staatlichen türkischen Nachrichtenagentur Anadolu vor, sie und ihre Kollegin Heike Hänsel in der zurückliegenden Woche heimlich beim Verlassen des Abgeordnetenrestaurants des Bundestags fotografiert und die Bilder anschließend zu Propagandazwecken an türkische Medien lanciert zu haben.

„Erdogans Netzwerk an Spitzeln reicht offensichtlich bis in den Bundestag“, empört sich Dağdelen. „Es ist ein neuer Tabubruch, dass Abgeordnete selbst in geschützten Räumen des Parlaments von Handlangern des Despoten ausgespäht werden.“

Das Brisante an den Fotos: In dem Restaurant hatten sich Sevim Dağdelen und Heike Hänsel zu einem Hintergrundgespräch mit Saleh Muslim getroffen, der ebenfalls auf den Fotos zu sehen ist. Muslim, der zuvor die Linksfraktion besucht hatte, ist Kovorsitzender der kurdisch-syrischen Partei der Demokratischen Union (PYD), die von der Türkei als PKK-Ableger betrachtet wird.

Die Präsident Erdoğan ergebene Boulevard-Zeitung Star nutzte das gemeinsame Foto von Dağdelen und Hänsel mit Muslim für die Schlagzeile: „Wieder unterstützt Deutschland Terroristen“. Auch in zahlreichen anderen türkischen Medien wurden die beiden Linkspartei-Parlamentarierinnen als Terrorunterstützerinnen diffamiert.

„Unter dem Deckmantel des Journalismus wird hier unverhohlen Hetze betrieben“, kritisiert Dağdelen. In einem Brief an Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) beurteilt sie die heimlich entstandenen Aufnahmen „als Angriff auf unsere parlamentarische Tätigkeit und als Versuch der Einschüchterung“.

Anders als die Türkei sieht Deutschland die PYD nicht als Terrororganisation. Die kurdische Partei und die mit ihr verbundenen Volksverteidigungseinheiten (YPG), die im Norden Syriens eine friedliche Zone gegen den „Islamischen Staat“ verteidigen, gelten vielmehr als enger Verbündeter der Nato und der USA in dem Land.

Unterdessen erhebt der Demokratische Gesellschaftskongress der KurdInnen in Europa (KCDK-E) noch weitaus heftigere Vorwürfe in Richtung Türkei. Der als PKK-nah geltende Zusammenschluss wirft dem Erdoğan-Regime vor, es habe die türkischen Botschaften und Vertretungen in Deutschland und Europa „geradezu zu Geheimdienstzentralen umgerüstet“. Ziel sei nicht nur, „kurdische Organisationen durch falsche und erlogene Informationen beim deutschen Staat zu kriminalisieren und die kurdischen Politiker als Terroristen darzustellen“, sondern auch missliebige kurdische PolitikerInnen zu ermorden, heißt es in einer Erklärung des KCDK-E.

Sevim Dağdelen, MdB

„Erdoğans Netzwerk reicht bis in den Bundestag“

Konkret hätten es die Häscher Erdoğans auf den Kovorsitzenden des KCDK-E, Yüksel Koç, und den Kovorsitzenden des Volkskongresses Kurdistans, Remzi Kartal, abgesehen. Der KCDK-E nennt sogar den Namen eines in Bremen lebenden Mannes, der „als professioneller Auftragsmörder nach Europa geschickt wurde“, um die beiden umzubringen. Er gehöre zu einem dreiköpfigen Team: „Eine Person sammelt Informationen, eine hat die Funktion des Auftragskillers und eine dritte Person leitet das Team“, heißt es in der Erklärung des KCDK-E. Der Chef der Einheit lebe ebenfalls in Bremen. Beweise für die ungeheuerlich klingenden Anschuldigungen seien der Staatsanwaltschaft Bremen übergeben worden.

Die Angaben des kurdischen Verbandes lassen sich derzeit nicht überprüfen. Allerdings scheinen die deutschen Ermittlungsbehörden den Fall ernst zu nehmen. Auf Nachfrage der taz gab die Staatsanwaltschaft Bremen an, den Vorgang an den Generalbundesanwalt abgegeben zu haben. Eine entsprechende Nachfrage dort blieb allerdings bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

So muss zum gegenwärtigen Zeitpunkt offen bleiben, wie realitätstauglich die schwerwiegenden Vorwürfe sind. Gibt es ein solches Mordkomplott wirklich? Der KCDK-E erinnert in diesem Zusammenhang an die Ermordung von drei kurdischen Politikerinnen, darunter der PKK-Mitgründerin Sakine Cansız, vor knapp vier Jahren in Paris durch einen türkischen Agenten.

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