Vom Schicksal der Familie T.: Abschiebung in Dauerschleife

Eine afghanische Familie sollte erst nach Bulgarien und dann nach Rumänien abgeschoben werden. Trotz eines Suizidversuchs droht nun ein dritter Versuch.

Vier Flüchtlinge stehen vor einer maroden Fassade mit kleinen Fenstern.

Flüchtlinge im Flüchtlingscamp Harmanli: Amnesty International bezeichnet die dortigen Lebensumstände als entsetzlich Foto: dpa

GÖTTINGEN taz | Massive Schikanen und Demütigungen während der Flucht, zwei abgebrochene Abschiebungen, ein Suizidversuch: Die Geschichte der afghanischen Familie T. aus Göttingen macht betroffen. Und sie zeigt – auch wenn sich nicht alle Informationen überprüfen lassen – wie menschenfeindlich und sinnlos die sogenannten Dublin-Verträge sind.

„Das Hin- und Herschieben quer durch Europa ist zahlenmäßig für die beteiligten Staaten eher ein Nullsummenspiel“, bilanziert das Göttinger Bündnis gegen Abschiebungen den Fall. Für die Betroffenen hingegen seien die Dublin-Verträge „eine Qual, die sie nicht zur Ruhe kommen lässt“.

2017 flohen die Eheleute und ihre heute sieben, sechs und drei Jahre alten Töchter aus Afghanistan zunächst nach Bulgarien und beantragten dort Asyl. Nach Angaben von Unterstützern musste die Familie dort ihre Fingerabdrücke abgeben und wurde eine Woche in einem Haus festgehalten. Alle Habseligkeiten seien ihr weggenommen, die Familienmitglieder getrennt voneinander verhört worden: „Drei Tage lang ohne Essen, bis die Frau ohnmächtig zusammenbrach“, berichten die Göttinger Abschiebungsgegner. Dann sei die Familie 28 Tage in dem berüchtigten Lager Harmanli eingesperrt worden.

Amnesty International kritisierte schon vor Jahren die Zustände in dem „Aufnahme­einrichtung“ genannten ehemaligen Militärkomplex Harmanli: „Uns fiel auf, dass die Menschen Holz, das sie von nahe gelegenen Bäumen sammeln, verbrennen müssen, um sich warm zu halten und zu kochen“, heißt es in einem Report der Menschenrechtsorganisation. „Abgesehen von Brot und Zucker, können sich viele nur Kartoffeln leisten.“

Und weiter: „Wir beobachteten das Elend, das die Menschen in Harmanli ertragen müssen. Das Camp hat nur acht Duschen für 1.000 Menschen und die Hygienebedingungen sind entsetzlich.“

Das Urteil: Asylbewerber, die bereits in Bulgarien als Flüchtlinge anerkannt worden sind, dürfen derzeit nicht dorthin abgeschoben werden. Das entschied das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht im Januar. Nach einer Rücküberstellung nach Bulgarien befänden sie sich in einer Mangel- und Notsituation.

Der Fall: Ein Syrer war in Bulgarien als Flüchtling anerkannt worden. Anschließend reiste er nach Deutschland weiter und stellte dort erneut einen Asylantrag, weil die Behandlung der Asylsuchenden in Bulgarien menschenrechtswidrig sei. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte den Antrag als unzulässig ab und drohte die Abschiebung nach Bulgarien an.

Familie T. floh aus Bulgarien. Über Serbien, wo sie nach Unterstützerangaben sechs Monate in einem vom UNHCR betriebenen Camp lebte, und Rumänien, das sie einer Nacht durchquerte, gelangte sie nach Göttingen. Hier brachte die Mutter im vergangenen Herbst ein weiteres Kind zur Welt. In einer Nacht Mitte Februar kam die Polizei mit der Kopie eines Abschiebebescheids nach Bulgarien. „Alle haben geweint, hatten wahnsinnige Angst, konnten kaum verstehen, was geschehen sollte“, erzählen Bekannte. Die Polizei brach die Abschiebung ab.

Sie sei gleichwohl rechtmäßig gewesen, urteilte das örtliche Verwaltungsgericht in einem Eilverfahren. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) habe den Abschiebebescheid fristgemäß verschickt. Die Familie will das Papier aber gar nicht erhalten haben, weil sie zwischenzeitlich in Göttingen umgezogen war. Nahezu zeitgleich habe das BAMF mitgeteilt, die Abschiebung solle nunmehr nach Rumänien erfolgen. Auch in diesem Land hatten die Flüchtlinge bei der kurzen Durchreise ihre Fingerabdrücke abgeben müssen.

Doch auch der zweite Abschiebeversuch scheiterte: „Aus Verzweiflung und purer Angst unternahm der Familienvater kurz danach einen Suizidversuch, den er überlebte“, so ein Sprecher des Göttinger Arbeitskreises Asyl. Nach seinen Worten verstoßen die Behörden in diesem Fall gegen ihre eigenen Regeln. Nach dem Dublin-Abkommen sei dasjenige Land für ein Asylverfahren zuständig, in dem Geflüchtete das erste Mal registriert werden – „und das ist in diesem Fall Bulgarien“.

„Dublin-Frist“ fast abgelaufen

Zudem habe das Oberverwaltungsgericht Lüneburg Abschiebungen nach Bulgarien kürzlich für unzulässig erklärt. Das stimmt nicht ganz: Denn das Abschiebeverbot betrifft nur Asylbewerber, die bereits in Bulgarien als Flüchtlinge anerkannt wurden (siehe Kasten).

Das Göttinger Bündnis befürchtet, dass die endgültige Abschiebung der Familie unmittelbar bevorsteht. Die „Dublin-Frist“, wonach eine Überstellung innerhalb von sechs Monaten erfolgen muss, sei fast abgelaufen. Die Göttinger Ausländerbehörde habe bereits eine „Hausarrestverfügung“ verschickt – die Familie müsse nachts zwischen 24 und sieben Uhr zu Hause bleiben.

Von der Stadt gab es dazu bis Redaktionsschluss keine Stellungnahme. Das Bündnis gegen Abschiebungen will einem dritten Abschiebeversuch nicht tatenlos zusehen. „Eher werden wir nachts Wachen aufstellen, um die Familie vor der Abschiebung zu schützen“, sagte eine Sprecherin.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.