Vogelgrippe in Europa: Stallpflicht soll Infektionen verhindern

Mit den Zugvögeln kam auch der Erreger der Vogelgrippe, sagen die amtlichen Veterinärmediziner. Kritiker hegen einen anderen Verdacht.

Männer in Schutzanzügen sammeln eine tote Ente ein

Städtische Mitarbeiter sammeln in Friedrichhafen tote Wildvögel ein Foto: dpa

BERLIN taz | Ein Ende der Vogelgrippewelle ist nicht in Sicht: In der vergangenen Woche wurde das tödliche Grippe-Virus H5N8 in einem Mastbetrieb in Kyritz, Brandenburg, nachgewiesen, alle 11.000 Puten wurden getötet. Diese ­Woche kam ein weiterer Betrieb in Niedersachsen hinzu – insgesamt sind schon über 40 Betriebe deutschlandweit betroffen.

Doch beim aktuellen Ausbruch sterben auch viele Wildvögel: Im Gegensatz zu den vergangenen Jahren werden fast täglich tote Möwen, Enten oder Greifvögel gefunden, die an dem für Geflügel gefährlichen Virus erkrankt sind. Um Hühner, Puten und Enten in Mastbetrieben zu schützen, gilt seit Monaten die Stallpflicht in fast allen Bundesländern.

Mutationen, die aus einem „nur“ krankheitsauslösenden Grippevirus einen tödlichen, hochpathogenen Virus machen, können sich nur in der Geflügelhaltung durchsetzen. In der freien Natur ist ein solches Virus nicht überlebensfähig, weil er seinen eigenen Wirt zu schnell tötet.

Die Form der Vogelgrippe, die aktuell in Europa grassiert, ist nach Informationen des Friedrich-Löffler-Instituts (FLI) für Tiergesundheit in Südostasien entstanden. Als wesentliche Ursache nennt das Institut, dass es dort viel Kontakt zwischen Nutz- und Wildgeflügel gebe. Dann ist es mit Zugvögeln, die sich gegenseitig angesteckt haben, nach Europa gekommen.

Zu wenige Daten

Ornithologen und Biologen hingegen bezweifeln das und werfen dem Bundesinstitut vor, nur in bestimmte Richtungen zu forschen. Ein Hauptkritikpunkt der Zweifler: Wenn das Virus wirklich über Sibirien aus Südostasien gekommen wäre, müsste man dann nicht viel mehr tote Vögel auch dort finden? Beim letzten Ausbruch der Vogelgrippe, im Jahr 2014/15 hatte es nur einen einzelnen Nachweis aus Sibirien gegeben.

„Das ist natürlich schwierig“, gibt Franz Conraths, Leiter des Instituts für Epidemologie am FLI, zu. „Es wäre besser, wenn es mehr Daten gäbe.“ Die gespannten Beziehungen zu Russland wirkten sich auch auf die Wissenschaft aus. Anstatt auf die Anzahl der gefundenen Vögel verlässt sich der Tiermediziner darauf, das Virus selbst zu untersuchen: „Das aktuelle Virus ist eng mit einem verwandt, das im Spätsommer an der russisch-mongolischen Grenze gefunden wurde. Die These, dass aviäre Influenzaviren von Wildvögeln transportiert wurden, ist international akzeptiert.“

Biologen wie Johan Mooij, der das Wissenschaftsforum Aviäre Influenza (WAI) gegründet hat, halten das trotzdem nicht für wahrscheinlich: „Es stimmt, dass Wildvögel Reservoirs für niedrig-pathogene Viren sein können“, sagt Mooij. „Dann sind die Vögel aber wenig mobil, und wenn sie weiter fliegen sind sie schon nicht mehr ansteckend.“ Damit sei es fast unmöglich, dass der Virus durch bereits erkrankte Vögel verbreitet werde.

Dass kranke Vögel wirklich Pause machen, bezweifelt wiederum Franz Conraths. Wie krank ein Virus einen Vogel macht, werde an Hühnern getestet. „Es kann aber sein, dass Wildvögel damit besser zurecht kommen als Hühner, das wissen wir nicht genau für jede Wildvogelart.“

Import aus Südosteuropa

Doch wie kommt dann das Virus von Asien nach Europa? „Wir halten es für viel plausibler, dass die Viren über die Material- und Handelsströme der Geflügelindustrie nach Europa kamen“, erklärt Lars Lachmann, Ornithologe und Vogelschutzexperte vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Es werde zwar kein Geflügel aus Südostasien importiert. „Aber es gibt Exporte und damit Materialströme in beide Richtungen.“ Seine Theorie: Wenn beispielsweise Küken nach Südkorea exportiert werden, könnten über die leeren Käfige Viren mit nach Europa kommen. Nach Meinung des Nabu untersucht das FLI diese Möglichkeiten nicht ausreichend.

„Der Import von Tieren und Futter aus Südostasien wird immer mit untersucht. Alles andere wäre fahrlässig. Die Aussage, dass wir das nicht tun, ist falsch“, entgegnet Conraths. Auch die verwendeten Geräte würden untersucht. „Ich kann mir aber auch nicht vorstellen, dass ein Unternehmen so leichtsinnig wäre, Käfige aus Südostasien zum Transport zu nutzen.“ Lachmann hingegen hält diesen Eintragsweg dennoch für möglich: „Wir suchen nur nach einzelnen Zufallsereignissen – es könnte auch ein Versehen oder eine illegale Aktivität sein.“

„Man muss allen Wegen nachgehen“, sagt auch Conraths. Aber wenn man bei Tiertransporten und im Futter nichts finde, müsse man das akzeptieren. Es sei eine mögliche Ursache, dass Wildvögel durch direkten oder indirekten Kontakt Vögel im Stall anstecken.

Identische Viren

„Dafür spricht, dass in der Nähe von betroffenen Betrieben infizierte Wildvögel gefunden wurden und dass die bei Wildvögeln und in Geflügelbeständen in Deutschland gefundenen Viren nahezu identisch sind“, so Conraths. Während das FLI darauf bedacht ist, die Nutztiere vor den Wildvögeln zu schützen, halten die Kritiker es für wahrscheinlicher, dass Wildvögel sich etwa durch Abwasser, Abfälle oder Tiertransporte bei Masthähnchen und -puten anstecken. Lachmann hält daher eine Stallpflicht nur in akuten Fällen für angebracht: „Wenn es einen akuten Ausbruch gibt und ein Freilandbetrieb in der Nähe eines Gewässers ist, ist das sicher sinnvoll.“

Conraths sieht allerdings schon erste Erfolge der Stallpflicht: Dass es in Mecklenburg-Vorpommern seit vier Wochen keine neuen Ausbrüche mehr gegeben habe, liege vor allem daran, dass sich auch Kleintierhalter daran hielten. „Das ist viel wichtiger, als der akademische Streit darüber, welche Rolle Wildvögel bei der Ausbreitung der aviären Influenza spielen.“

Währenddessen stecken sich immer mehr Vögel an. Insgesamt wurden seit November vergangenen Jahres über 580 infizierte Wildvögel in Deutschland registriert – 16 europäische Länder und viele Regionen in Asien sind betroffen.

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