Vier Taz-Redakteure berichten: Die Geschichte, die ich nicht schrieb

Zu viel Arbeit, die Recherche zu kompliziert, zu spät erfahren - es gibt die verschiedensten Gründe, Texte nicht aufzuschreiben. Und genauso gemischt sind die Gefühle, mit denen man darauf zurückblickt. Vier Erfahrungen.

Aus dem Werkzeugkasten der taz: Ohrstöpsel, eingesteckt vom Kulturredakteur, 42 Jahre. Bild: Miguel Ferraz

Mörderische Musik

Die Idee war, dieses leuchtende Bremer Beispiel bundesweit publik zu machen. Nämlich, dass Spitzen-Gambistin Hille Perl an der Hochschule für Künste JunggambistInnen lehrt, einander nicht als Feinde im Überlebenskampf um die wenigen Gamben-Stellen zu sehen - sondern als Solidargemeinschaft. Als Teil der großen Gambenfamilie.

Doch das Berliner Redaktionsmitglied, dem das Thema angetragen wurde, hatte ja Recht: "Das musst du erklären". Dass Hille Perl ein Star ist, ahnt keiner, der noch nie von der Instrumentenfamilie der Gamben gehört hat. Die ist ein altes Streichinstrument, auch Schoßgeige genannt. "Ich versteh' nicht das Besondere der Idee von Perl", sagte der Berliner Kollege.

Die mag erst mal schlicht klingen, ist aber revolutionär in der Profi-Musik. Und potentiell gesundheitsfördernd. Unter Berufsmusikern herrscht ein erbarmungsloser Wettbewerbsdruck, deshalb sind sie extrem häufig krank. "Ah, das klingt interessant!", hieß es nun aus Berlin. "Ja, deshalb gibt's ja Lehrstühle für Musikergesundheit, und die Statistiken"... "Den Punkt musst du stärker machen", wünschte der Redakteur: "Find' Einzelfälle."

Auf die Recherche hätte ich mich nicht einlassen dürfen. Sie war lang und mühsam. Die Mobbing-Opfer bestanden auf Verfremdung: Der Bratscher aus Trossingen, dem Kollegen vorm Examen das Kolofonium geölt hatten, hätte nur als Pianist aus Detmold auftauchen mögen. Und: Wollte ich das erzählen? Der eigentlichen Geschichte hätte das ja keinen Platz gelassen!

"Wir sind die Zukunft", hatte Perl beim Treffen in der Hochschul-Cafeteria ihren Lehr-Anspruch verdeutlicht. Aber lang, lang war's her! Längst hatte das Studien-Ende die in Einzelgesprächen ausgefragte, im Konzert belauschte, in Fotos gebannte Gamben-Solidargemeinschaft aufgelöst. Und die Zukunft bleibt unerzählt. Benno Schirrmeister

Schillernder Urlaub

Es war ein heißer Sommer 2003. In Kroatien. Besonders jener Dienstag, der 19. August. Bei locker 35 Grad waren die Dame meines Herzens und ich stundenlang über Stock und Stein gewandert, nicht ahnend, dass es auch im heimischen Hamburg heiß herging.

Jetzt am Abend saßen wir nach einem guten Essen und mit gutem Wein in der lauen Adriabrise auf der Terrasse eines Restaurants am kleinen malerischen Hafen. Nichts Böses ahnend schaltete ich zum ersten Mal seit Tagen wieder das Handy an. Es war ein Fehler.

Zwei Kollegen aus der Hamburger taz-Redaktion hatten die Mailbox vollgetextet und mehrere SMS geschickt. Der entscheidende Satz: "Ole hat heute Schill rausgeschmissen - schönen Urlaub weiterhin." Nun war es also doch so weit gekommen: Hamburgs Bürgermeister hatte die Eskapaden seines Rechtsaußen-Innensenators satt. Und ich saß an der Adria.

Was denn los sei, fragte mit misstrauischem Blick die Dame meines Herzens. Ich sagte es ihr. Sie schwieg mehrere Sekunden lang, dann sagte sie mit düsterem Unterton: "Schill oder ich."

Ich verstand. Ich brach den Urlaub nicht ab. Und am nächsten Tag erwarb ich die einzige deutsche Zeitung, die es in dem kleinen Laden gab: Zum ersten Mal in meinem Leben kaufte ich eine Bild-Zeitung.

Dass es soweit mit mir kommen musste, habe ich Ole von Beust nie verziehen. Und dass er Schill hinter meinem Rücken rauswarf, auch nicht. Die eine Woche hätte er wirklich noch warten können. Sven-Michael Veit

Endlich Handfestes

Wenn eine Zeitung ein so weitgehendes Pressemonopol wie der Weser Kurier hat, zudem über eine "Medienpartnerschaft" mit Radio Bremen abgesichert ist, erfährt man über interne Vorgänge nichts. Selbst der Rauswurf eines Geschäftsführers, der bei jedem anderen größeren Unternehmen zumindest als Meldung nach außen gegeben würde, bleibt unerwähnt. Die taz ist also das einzige Medium, das in Bremen über den Weser Kurier informiert.

Und so gab es am 14. Juli 2011 einen Text im Stehsatz, der so anfing: "In der vergangenen Nacht um 4.33 Uhr schickte der Aufsichtsratsvorsitzende der Bremer Tageszeitungen AG, der Berliner Medienrechtsprofessor Johannes Weberling, eine Mail an die Abteilungsleiter des Weser Kurier-Verlages. "Betreff: Rücktritt von Dr. Hackmack". Ulrich Hackmack ist Vorstand und nach dem Rauswurf von Florian Kranefuß der einzige Geschäftsführer des Verlages."

Über den Streit der Verleger-Familien des Weser KuriersWeser Kuriers, die unter Zusicherung der Vertraulichkeit nach dem Hintergrund der Nachricht gefragt wurden, waren höchst alarmiert, auch für sie war die Sache neu. Das Sekretariat des Geschäftsführers Hackmack stellte einen Rückruf in Aussicht - der erwartungsgemäß nicht erfolgte. Weberling war Richtung Österreich in den Urlaub unterwegs, nicht erreichbar. Schließlich versprach die Sekretärin, ihr Bestes zu tun, dann kam - wie erwartet - ein Dementi. Ein scharfes. gibt es normalerweise nur Gerüchte, aber hier war nun endlich etwas Handfestes! Die Mitarbeiter des

Was nun? Im Rahmen der vergeblichen Recherche hatte es den Hinweis gegeben, dass es den angeblichen Adressaten, nämlich "Abteilungsleiter", in der der taz zugespielten Mail gar nicht gibt. Merkwürdig zudem, dass der Aufsichtsratsvorsitzende so eine brisante Nachricht vor seiner Abreise so breit an jene "Abteilungsleiter" streut.

Gegen 17 Uhr dann die Entscheidung: Der Text erscheint nicht. Die der taz geschickte Mail war höchstwahrscheinlich ein Fake - gut erfunden, aber nicht gut genug. Der Bremer taz wurde eine Peinlichkeit erspart - und Ulrich Hackmack sitzt auch Monate später fest im Sattel als Geschäftsführer. Klaus Wolschner

Verzweifelte Geiselnehmerin

Es gibt Leserinnen und Leser, die geben vor, etwas wirklich Geheimnisvollem auf der Spur zu sein. Meist werden sie direkt in der Redaktion vorstellig, weil es so mysteriös ist. Ufos, getarnte Hubschrauber oder verdächtige Strahlungen. Das war bei Renate A. anders. Die Altenpflegerin meldete sich 1991 telefonisch, um über ihren Arbeitsrechts-Konflikt im Altenheim zu berichteten. Mobbing war zwar in Fachkreisen bereits ein Begriff, doch in der Arbeitswelt noch ein Fremdwort. Renate A. fragte die taz hamburg um Hilfe, um ihre ungerechte Behandlung öffentlich zu machen.

Die Redaktion bat, ihr schriftliche Informationen zur Verfügung zu stellen. Prompt traf Tage später per Kurierdienst ein Karton ein, in dem sich mehrere Aktenordner befanden. Damals produzierte die taz hamburg noch acht Seiten am Tag, so dass sich niemand direkt die Zeit nahm, die Ordner direkt zu lesen. Man hielt den Fall nicht für dringlich. Ein Fehler vielleicht.

Denn Tage später nahm Renate A. mit Messer und Gaspistole bewaffnet den damaligen Sozialsenator Ortwin Runde (SPD) in seinen Behördenräumen als Geisel. Über Telefon forderte sie die taz zur Vermittlung auf. Die Chefin vom Dienst versuchte zu beschwichtigen, während eine Kollegin den zuständigen Redakteur zu erreichen versuchte. Vergeblich.

Mehrere taz-Teams machten sich auf den Weg zur Sozialbehörde. Davor hatte die Chefin vom Dienst am Telefon Renate A. noch unmissverständlich deutlich gemacht, dass die Teams nur erscheinen würden, wenn sie vorher die Waffen ablegte. Was Renate A. auch tat. Und noch vor dem Eintreffen der tazzler von einem mobilen Einsatzkommando überwältigt wurde. Ob es zu dieser Verzweiflungstat auch dann gekommen wäre, wenn sich die taz vorher intensiver um den Fall gekümmert hätte, bleibt ein Geheimnis. Denn in der Tat hatte Renate A. psychische Probleme. Deshalb hat man sie nach dem Prozess auch nicht ins Gefängnis geschickt, sondern in die Psychiatrie eingewiesen. Kai von Appen

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