Verhinderung sexueller Gewalt: Schutzlose Kinder

Fachberatungsstellen fordern mehr Personal, um die Vorgaben des Bundeskinderschutzgesetzes nach Schutzkonzepten zu erfüllen. Aber die Stadt winkt ab.

Lange Wartezeiten bei Beratungsstellen für Opfer sexualisierter Gewalt: Kuscheltier muss trösten. Bild: dpa

Ein weißes Kreuz soll künftig Symbol der Ablehnung sexueller Gewalt an Kindern sein. Als Anstecknadel, Plakat oder Aufkleber soll es zeigen, dass Menschen Verantwortung übernehmen. Die Kampagne stellt der Bundesbeauftragte Johannes-Wilhelm Rörig am 10. Januar in Berlin vor. Unter dem Motto „Kein Raum für Missbrauch“ will er Einrichtungen, in denen sich Mädchen und Jungen regelmäßig aufhalten, ermutigen, „Schutzkonzepte“ umzusetzen.

„Diese Schutzkonzepte sind schon Vorschrift, seit das Bundeskinderschutzgesetz vor genau einem Jahr in Kraft getreten ist“, sagt Christa Paul vom „Netzwerk der Hamburger Einrichtungen gegen sexualisierte Gewalt an Mädchen und Jungen“ (Nexus). Doch noch hapere es an der Umsetzung. Es fehlten schlicht „Strukturen und Ressourcen“, um Kindertagestätten, Schulen, Jugendtreffs, Vereine, Gemeinden oder Kliniken mit der nötigen Fachberatung zu unterstützen.

Unter Schutzkonzept verstehen Röhig und Paul Maßnahmen, die dazu beitragen, sexualisierte Gewalt an Kindern zu verhindern oder frühzeitig aufzudecken. Dazu gehörten ein Verhaltenskodex, Risikoanalysen, Fortbildungen und ein Notfallplan, wie bei Verdachtsfällen vorgegangen werde. Die Konzepte sollen nicht nur die Täter von den Einrichtungen fernhalten, sondern auch die Fachkräfte als „kompetente Ansprechpersonen“ für Kinder stärken, die missbraucht wurden.

Im Jahr 2011 wurde in Hamburg 230-mal sexueller Missbrauch an unter 21-Jährigen angezeigt. Im Schnitt dauert es vier bis sechs Jahre, bis es zu einer Anzeige kommt.

Laut einer Studie von 2011 geben 6,4 Prozent der Frauen und 1,3 Prozent der Männer an, in der Kindheit sexuellen Missbrauch erlebt zu haben. Gefragt worden waren 11.428 Menschen von 16 bis 40 Jahren.

Aus der Familie kam der Täter demnach in 21,5 Prozent der Fälle, bei 41,7 Prozent war es ein Bekannter.

Für Jungs gibt es seit November 2012 eine eigene Beratungsstelle: Basis-praevent wird befristet von der Aktion Mensch und der Deutschen Bischofskonferenz finanziert. Kontakt: 39 84 26 62 oder www.basisundwoge.de.

Laut Gesetz seien Lehrer, Sozialpädagogen, Therapeuten und Ärzte verpflichtet, bei Verdacht auf sexualisierte Gewalt „Schritte einzuleiten, um eine Klärung herbeizuführen“, sagt Paul. Dafür hätten diese „Anspruch auf Fachberatung“. Das gelte ebenso für die Einrichtungen, die nun per Gesetz zu entsprechenden Konzepten verpflichtet worden sind. „Doch die Vorgaben, wer diese Beratung erbringen soll, stehen in Hamburg immer noch aus“, sagt Paul.

Die bei Nexus vertretenen Fachberatungsstellen Allerleirauh, Basis-praevent, Dolle Deerns, Dunkelziffer, Zornrot und Zündfunke verfügten über die Expertise. Doch Basis-praevent und Dunkelziffer würden nur über Spenden und Stiftungen finanziert. Und die Ausstattung der übrigen Beratungsstellen sei mit 8,5 Stellen seit 20 Jahren unverändert. Gleichzeitig habe es aber wegen der erhöhten Aufmerksamkeit für das Thema eine hohe Arbeitsverdichtung gegeben. So sei allein bei Allerleirauh die Nachfrage nach Prävention in zehn Jahren um 50 Prozent gestiegen. Gespräche mit SPD-Abgeordneten, eine zusätzliche Zweidrittel-Stelle zu bekommen, hätten 2011 „keinen Erfolg gehabt“.

Die Sozialbehörde hält die Stellen für ausreichend. Hamburg sei im Vergleich zu anderen Stadtstaaten „außergewöhnlich gut“ mit Anlaufstellen ausgestattet, so Behördensprecherin Nicole Serocka. Es werde aber mit Nexus über die Umsetzung des neuen Gesetzes gesprochen. Für die Schutzkonzepte werde an einem „Leitfaden“ gearbeitet, der den freien Trägern als „Orientierungshilfe“ dienen soll.

„So ein Leitfaden allein stellt nicht sicher, dass die Einrichtungen dies umsetzen können“, hält die Nexus-Sprecherin dagegen. Auch liege Hamburg laut einer Studie aus 2011 über die Beratungsversorgung pro 100.000 Einwohner nicht an der Spitze, sondern „nur im Mittelfeld“. Derzeit müssten Ratsuchende in allen Fachberatungsstellen mit Wartezeiten von bis zu einem Monat rechnen. „Manchmal könne wir überhaupt keine Termine anbieten, weil die Kapazitäten erschöpft sind“, sagt Paul.

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