Verfassungsschutz wird moderner: Abschied vom Schlapphut

Die überfällige Reform des niedersächsischen Verfassungsschutzes schreitet voran. Zu Unrecht Überwachte werden nun aber doch nicht informiert.

Nicht nur der Innenminister sitzt Attacken aus: Demonstranten in Göttingen 2009 Bild: dpa

HAMBURG taz | Der Verfassungsschutz in Niedersachsen soll transparenter und demokratischer werden: Derzeit berät der Landtags-Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes über ein neues Verfassungsschutzgesetz. Den Entwurf dazu hatte die rot-grüne Landesregierung im Herbst ins Parlament eingebracht, so wie sich die Koalitionäre im Januar 2013 im Koalitionsvertrag darauf geeinigt hatten.

Mit dem neuen Gesetz soll sich unter anderem der dauerhafte Einsatz von „Vertrauenspersonen“, also V-Leuten, ändern. Er soll nur noch bei verfassungsfeindlichen Bestrebungen „von erheblicher Bedeutung“ möglich sein. Das Führungspersonal der V-Leute soll nach fünf Jahren ausgetauscht werden, um kein persönliches Verhältnis entstehen zu lassen, das die Arbeit beeinträchtigen könnte. Zudem entscheidet der Verfassungsschutz künftig nicht mehr allein über ihren Einsatz, sondern in Abstimmung mit dem Landtags-Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes.

Das Kontrollgremium des Parlaments soll auch zustimmen müssen, wenn der Verfassungsschutz eine Gruppe langfristig überwachen will. Nicht mehr beobachten darf er nach dem Entwurf künftig Jugendliche unter 16 Jahren und die Wohnungen von „Beobachtungsobjekten“. Beendet der Verfassungsschutz die Beobachtung eines Bürgers, soll er ihm künftig mitteilen müssen, dass er überwacht wurde und er nun Auskünfte über die über ihn gespeicherten Daten einholen kann.

„Wir wollen einen leistungsstarken, aber eben auch einen modernen und sensiblen Verfassungsschutz“, sagte Innenminister Boris Pistorius (SPD) bei der Vorstellung des Gesetzesentwurfs im Landtag. Er wolle den Geheimdienst „raus aus der Schlapphutecke“ holen und zu einer „modernen Sicherheitsbehörde“ machen. Dafür bekam er auch Applaus von der Oppositionsbank: CDU und FDP unterstützen den Entwurf ebenso wie der grüne Koalitionspartner, der den Verfassungsschutz im Wahlkampf noch ganz abschaffen wollte. Etwas zu weit geht der Vorstoß nur den Christdemokraten: Sie möchten auch in Zukunft Jugendliche überwachen lassen können.

Immer wieder hatten in den vergangenen Jahren Skandale um den niedersächsischen Geheimdienst für Schlagzeilen gesorgt. Unter der Führung des ehemaligen Innenministers Uwe Schünemann (CDU), der sich als Hardliner einen Namen machte, überwachte der Verfassungsschutz JournalistInnen, RechtsanwältInnen und engagierte, aber keineswegs verfassungsfeindliche BürgerInnen. Schünemann musste sich den Vorwurf gefallen lassen, seine Behörde gegen politisch unliebsame Personen einzusetzen – doch die Attacken der damaligen Koalition saß er beharrlich aus.

Mit dem Regierungswechsel in Hannover kam auch ein Wechsel an der Spitze des Geheimdienstes. Auf den früheren Göttinger Polizeipräsidenten Hans Wargel folgte Maren Brandenburger, zuvor Pressesprecherin beim Verfassungsschutz. Zusammen mit ihrem Vorgesetzten Pistorius ging sie im September 2013 mit der Nachricht an die Öffentlichkeit, der Verfassungsschutz habe rechtswidrig Akten über JournalistInnen geführt. Pistorius berief daraufhin eine Task Force ein, die sämtliche Akten des Dienstes auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüfen sollte.

Das im Mai 2014 präsentierte Ergebnis dieser Recherche war „erschreckend“, befand Pistorius: 39 Prozent der personenbezogenen Daten, die das Landesamt gespeichert hatte, sollen nach Empfehlung der Kontrolleure gelöscht werden. Das betraf insgesamt 3.501 der etwa 9.000 Menschen, über die in Hannover Akten existierten. Unter den Akten waren nach Auskunft der Behörde Aufzeichnungen über mindestens sieben Journalisten und fünf Rechtsanwälte.

Auch nach der Überprüfung ging die Überwachung von Berufsgeheimnisträgern weiter: Laut Empfehlung der Task Force sollten die Akten über sechs Journalisten und zwei Anwälte bestehen bleiben. Die Aufzeichnungen über die Medienvertreter werden tatsächlich nicht gelöscht, heißt es aus dem Landesamt. Bei einem der beiden Juristen habe der Verfassungsschutz aber aufgrund neuer Erkenntnisse beschlossen, „dass die weitere Speicherung für die Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich ist“.

Bislang sind die überprüften Akten nur „in Einzelfällen“ gelöscht worden, sagt ein Sprecher des Verfassungsschutzes. Die restlichen sollen folgen, sobald sich der Landtag mit ihnen befasst hat. Dieser habe Einsicht beantragt. Bis dahin dürften sie nicht mehr von der Behörde verwendet werden.

„Nach abschließender Prüfung durch die niedersächsische Verfassungsschutzbehörde werden die Löschempfehlungen der Task Force grundsätzlich umgesetzt“, heißt es. Es werde allerdings keiner der zu Unrecht überwachten Bürger informiert, dass der Geheimdienst sie im Visier hatte.

Teile der Empfehlungen, die die Task Force des Innenministers erarbeitet hatte, werden demnächst Gesetzeskraft erlangen: Für den 29. Januar ist eine öffentliche Anhörung des Gesetzesentwurfs im Landtag geplant. Wann das neue Gesetz in Kraft treten wird, ist indes noch nicht absehbar: „Es gibt“, heißt es aus dem Landtag, „noch einiges an Beratungsbedarf.

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