Verfassungsschutz in Göttingen: Wo Spitzel sich sicher fühlen

Ein V-Mann in der linken Szene, ein Journalist wird beobachtet. Neue VS-Methoden in Göttingen? Ach was, das Ausspähen hat dort Tradition.

Eine Frau mit Aktenordner

Ausgespitzelt: Die niedersächsische Verfassungsschutzpräsidentin Maren Brandenburger tritt ab Foto: dpa

GÖTTINGEN taz | Ein V-Mann des niedersächsischen Verfassungsschutzes spitzelt zwei Jahre in der linken Szene, ein linker Journalist ist offenbar seit 2012 zur polizeilichen Beobachtung ausgeschrieben. Die beiden Vorgänge aus Göttingen haben in den vergangenen Tagen überregional für Aufsehen und im Fall des V-Mannes für Verwerfungen auch in der Landespolitik gesorgt. Die Präsidentin des Landesamtes für Verfassungsschutz, Maren Brandenburger, trat am Mittwoch zurück.

Das Ausspähen der linken und alternativen Szene in Göttingen hat Tradition. Schon 1978 schleuste das niedersächsische Landeskriminalamt (LKA) zwei Agenten in den Göttinger Arbeitskreis gegen Atomenergie ein – „Wicky“ und „Rudi“ lauteten die Tarnnamen der Spitzel. Sie betreuten den Infostand auf dem Marktplatz, fuhren mit Göttinger Aktivisten zu Seminaren und sogar in den Urlaub.

Bei einer Diskussion über den Widerstand in Gorleben schlug „Wicky“ vor, eine Rauchbombe in eine Trafostation zu werfen, das gäbe einen „schönen Aufruhr“. Enttarnt wurden die Spitzel durch Hinweise ehemaliger Schulfreunde: „Wickys“ und „Rudis“ angeblicher Wohnsitz in Hannover war früher eine Adresse des Drogendezernats der Polizei.

1982 veröffentlichte die Alternative Grüne Initiativen-Liste (AGIL) Mitschnitte aus dem Polizeifunk: So wurde bekannt, dass in Göttingen geheime Polizeieinheiten operierten – ohne öffentliche Kontrolle und offenbar auch ohne ausreichende rechtliche Grundlage. Sie nannten sich „Aufklärungs- und Festnahmekommandos“, rund 50 Beamte gehörten ihnen an. Ihr Auftrag: ständiges Beschatten, Provozieren und wenn möglich Festnehmen einzelner Linker oder kleiner Gruppen.

Jugendzentren und Kneipen waren bevorzugte Observierungsziele. Gäste, die mit dem Auto nach Hause fuhren, wurden angehalten, ihre Personalien überprüft. Die Daten wurden an einen Computer in Hannover übermittelt, auf dem sich das Spuren- und Dokumentationssystem (Spudok) befand. Die Liste enthielt Hunderte Namen, darunter auch die des späteren Umweltministers Jürgen Trittin und einer querschnittsgelähmten Ehrenbürgerin der Stadt.

Der Fall Daniel H.

Im Funk unterhielten sich die Beamten zum Beispiel so: „X und Anhang gehen hier durch die Stadt. Wir wollen die ein bisschen beschatten. Aber so, dass wir denen auf den Hacken herumfahren … Der X wird schon nervös.“ – „Ja, wollt ihr sie jetzt mal anhalten? Einsacken …?“ – „Na, dann wollen wir sie mal einsammeln … Wir stoppen sie … Kommt ran.“

Die Ordner hatten die Beamten mit „Limo“ beschriftet, ein Polizeibegriff für „Straftäter, politisch links orientiert“

Die Spudok-Dateien seien vernichtet worden, versicherte das niedersächsische Innenministerium 1985. Waren sie aber nicht. Nach einem Brandanschlag auf das Göttinger Arbeitsamt tauchte die alte Aufstellung politischer Aktivisten wieder auf – mit denselben Schreibfehlern.

Im Vorfeld des Castor-Transport den Göttinger Physikstudenten Daniel H.es nach Gorleben im November 2004 verfolgten LKA-Beamte den Göttinger Physikstudenten Daniel H. zwei Wochen lang auf Schritt und Tritt. Sie hörten mehr als 80 Telefongespräche von ihm und seinen Mitbewohnern ab, machten Videoaufnahmen, überwachten Kneipen- und private Kontakte und verfolgten H. einmal sogar bis auf die Uni-Toilette. Am Auto eines Bekannten brachten die Fahnder einen Peilsender an.

Mindestens bis 2015 standen fünf prall gefüllte Ordner im Staatsschutzkommissariat der Göttinger Polizeiinspektion. Sie enthielten die Daten Dutzender Personen, die von den Beamten als Linke eingestuft wurden: Neben Namen und Fotos auch Wohnanschrift, Religionszugehörigkeit, Familienstand, Social-Media-Profile. Die Ordner hatten die Beamten mit „Limo“ beschriftet, ein Polizeibegriff für „Straftäter, politisch links orientiert“. In diesem Frühjahr räumte die Polizei gegenüber dem Verwaltungsgericht ein, dass diese Akten nie hätten existieren dürfen.

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