Urteil zur Wochenzeitung „Kontext“: „Kontext“ darf wieder berichten

Ein AfD-Mitarbeiter hatte sich rassistisch geäußert. Weil er dies bestritt, musste„Kontext“ zwei Artikel zurückziehen. In der Berufung hatte „Kontext“ nun Erfolg.

Auf einer "Kontext Wochenzeitung" liegt eine Katze

Kontext will die Artikel über Grauf nun alsbald wieder freigeben Foto: Joachim E. Roettgers/Graffiti Foto

KARLSRUHE taz | Das Stuttgarter Magazin Kontext darf wieder über die rassistischen und nazistischen Chat-Aussagen des AfD-Abgeordnetenmitarbeiters Marcel Grauf berichten. Das entschied jetzt das Oberlandesgericht Karlsruhe als Berufungsinstanz im Eilverfahren. Grauf arbeitet für die baden-württembergischen AfD-Landtagsabgeordneten Heiner Merz und Christina Baum. Kontext erscheint online und als Beilage der taz.

Im Mai 2018 hatte Kontext unter dem Titel „Sieg Heil mit Smiley“ über die Chatprotokolle von Grauf berichtet. Zitiert wurden Aussagen wie: „Nigger, Sandneger. lch hasse sie alle“, „lch würde niemanden verurteilen, der ein bewohntes Asylantenheim anzündet“ oder „lch wünsche mir so sehr einen Bürgerkrieg und Millionen Tote. Frauen, Kinder. Mir egal. Hauptsache es geht los.“

Zuvor hatte sich bei Kontext ein Informant gemeldet, der Redakteurin Anna Hunger in einem Stuttgarter Café einen USB-Stick übergab. Darauf enthalten war der gesamte Inhalt des Accounts, den Grauf unter dem Alias-Namen „Dagobert Montagne“ bei Facebook führte: Chats mit 131 Personen aus den Jahren 2013 bis 2017. Ausgedruckt ergab dies rund 17 000 Blatt, gesammelt in zehn Leitz-Ordnern. Kontext prüfte die Daten wochenlang auf Plausibilität und entschloss sich dann, an die Öffentlichkeit zu gehen. Immerhin bestritt die AfD, dass in den Parlamentsfraktionen aktuelle und ehemalige Nazis beschäftigt werden.

Grauf behauptete allerdings in drei eidesstattlichen Versicherungen, er habe die von Kontext veröffentlichten Aussagen nicht gemacht. Die gespeicherten html-Dateien seien offensichtlich manipuliert worden. Er stehe fest auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung.

Beweismittel vernichtet

Beim Landgericht Mannheim erreichte er im August 2018 eine einstweilige Verfügung, dass Kontext seinen Namen nicht mehr im Zusammenhang mit diesen Chatprotokollen nennen dürfe. Weil man sich über die Glaubwürdigkeit des Informanten kein Bild machen könne, waren die Richter nicht davon überzeugt, dass die Chatprotokolle unverändert an Kontext weitergegeben wurden. Möglicherweise habe der Informant eine „Neigung zur Leichtfertigkeit im Dienst einer ‚guten Sache‘“.

Seither sind die Kontext-Artikel offline. Doch das Magazin ging in Berufung und beauftragte die Gerichts-Linguistin Eilike Fobbe mit einem Gutachten. Sie kam zum Schluss, dass Grauf mit „sehr großer Wahrscheinlichkeit“ auch Autor der umstrittenen Passagen war.

Beim OLG Karlsruhe ging es nun vor allem um die Frage, ob Kontext die eidesstattliche Versicherung Graufs entkräften kann. So argumentierte Kontext-Anwalt Markus Köhler, dass Grauf unglaubwürdig sei. Denn er habe eidesstattlich versichert, nie NPD-Mitglied gewesen zu sein. Aus zwei Chats gehe aber hervor, dass er wohl doch für zwei bis drei Jahre Mitglied war.

Gegen Grauf spreche auch, dass er nach der Kontext-Veröffentlichung das Facebook-Profil gelöscht hatte und damit Beweismittel vernichtete, so Anwalt Köhler. Grauf entgegnete vor Gericht, er habe so verhindern wollen, dass weitere Zugriffe auf sein Facebook-Profil möglich sind. An gerichtliche Auseinandersetzungen habe er damals noch nicht gedacht.

Volle Namensnennung erlaubt

Das OLG entschied nun zugunsten von Kontext. „Eine Fälschung mag zwar technisch möglich sein, wir halten die Wahrscheinlichkeit einer Manipulation aber für sehr gering“, sagte der Vorsitzende Richter Andreas Voß. Der Senat halte es daher für „überwiegend wahrscheinlich“, dass Grauf die „menschenverachtenden, rassistischen und demokratiefeindlichen“ Aussagen selbst gemacht habe und dass er auch NPD-Mitglied war. In der Abwägung der Rechtsgüter überwiege deshalb die Pressefreiheit das Persönlichkeitsrecht Graufs. Die politischen Einstellungen von AfD-Mitarbeitern beträfen eine „die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage“.

Gegen Kontext sprach nicht, dass die Chatprotokolle auch private Unterhaltungen Graufs mit seiner damaligen Lebensgefährtin enthielten. Die von der Zeitung zitierten Äußerungen gehörten nicht zur Privat-, sondern zur Sozialsphäre Graufs, so Richter Voß. Kontext musste sich auch nicht entgegenhalten lassen, dass die Chatprotokolle vermutlich rechtswidrig beschafft wurden. Denn es gebe keine Anzeichen dafür, dass die Journalisten das Facebook-Konto Graufs selbst gehackt hatten.

Kontext will die Artikel über Grauf nun alsbald wieder freigeben. Das OLG erlaubte sogar die volle Namensnennung, „denn sonst wäre auch eine Vielzahl anderer AfD-Mitarbeiter in Verdacht geraten“, erläuterte Richter Voß.

Das Eilverfahren ist damit zu Ende. Grauf kann theoretisch zwar noch ein Hauptsacheverfahren beginnen. Vermutlich wird er aber darauf verzichten, denn am Ende würde erneut das OLG Karlsruhe entscheiden. Zur Urteilsverkündung war Grauf gar nicht mehr erschienen.

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