Urteil im Kopftuch-Streit: Diskriminierung wird der Regelfall

Die Bildungsverwaltung erkennt das Urteil des Landesarbeitsgerichts an. Dennoch bleibt man dabei: kein Kopftuch an allgemeinbildenden Schulen.

Viel Stoff für Diskussionen: das Kopftuch im Schuldienst Foto: dpa

Der Berliner Senat akzeptiert das Kopftuch-Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) – zumindest formal. Das Land werde gegen das Urteil keine Revision einlegen, teilte eine Sprecherin der Senatsbildungsverwaltung Ende vergangener Woche mit. Ob nun aber bald Lehrerinnen mit Kopftuch an allen Berliner Schulen unterrichten können, ist trotzdem fraglich.

Im Februar hatte das LAG einer Lehrerin eine Entschädigung von 8.680 Euro zugesprochen, weil sie mit Blick auf ihr Kopftuch nur ein Angebot für einen Vertrag an Berufsschulen erhielt. Die Frau aber wollte an einer Grundschule unterrichten. Die Schulverwaltung verwies damals zur Begründung auf das Berliner Neutralitätsgesetz, das den Lehrkräften an allgemein bildenden Schulen das Tragen auffallender, religiös geprägter Kleidungsstücke verbietet. Ausnahmen sieht das Gesetz nur in Einzelfällen und generell für Berufsschulen und den zweiten Bildungsweg vor.

Die Sprecherin von SPD-Bildungssenatorin Sandra Scheeres, Beate Stoffers, sagte: „Uns ist in dem konkreten Einstellungsverfahren tatsächlich ein Fehler unterlaufen.“ Man werde daher die Entschädigung zahlen. Zudem werde man das Einstellungsverfahren dahingehend ändern, dass das Kopftuch darin keine Rolle mehr spielt.

Allerdings sagte Stoffers auch: „Wir stellen das Neutralitätsgesetz nicht infrage.“ Eine Bewerberin mit Kopftuch könne gegebenenfalls, wenn die Noten und andere Qualifikationen stimmen, einen Arbeitsvertrag bekommen – aber nur für den Schuldienst an Berufsschulen oder solchen des zweiten Bildungsweges. Faktisch sollen Lehrerinnen mit Kopftuch also weiter diskriminiert werden. Denn wenn eine Lehrerin an Grundschulen unterrichten will und nur die Chance bekommt, an Berufsschulen zu arbeiten, dann ist das eine Diskriminierung, wie das Landesarbeitsgericht eindeutig festgestellt hat.

Die Beweislast kehrt sich um

Die Schulverwaltung kann nun auch nicht einfach falsche Begründungen vorschieben, um Bewerberinnen mit Kopftuch weiterhin abzulehnen. Solange an Grundschulen Lehrermangel herrscht und, so das LAG, sogar fachfremde Quereinsteiger eingestellt werden, ist die Ablehnung einer gut qualifizierten Kopftuch-Pädagogin ein klares Anzeichen für die Fortführung der diskriminierenden Praxis. Nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz ändert sich bei Vorliegen solcher Indizien die Beweislast.

Nun muss die Senatsverwaltung beweisen, dass sie nicht diskriminiert hat. Das dürfte ihr schwerfallen, solange ihre Einstellungspraxis weiter dem Neutralitätsgesetz folgt, und das die SPD ausdrücklich nicht ändern will.

Beate Stoffers, Bildungsverwaltung

„Wir stellen das ­Neutralitätsgesetz nicht infrage“

Im fraglichen Fall hatte man der Bewerberin mit Kopftuch bei einem Lehrer-Casting zu verstehen gegeben, dass sie wegen des Neutralitätsgesetzes nicht wie gewünscht an einer Grundschule beschäftigen könne. Das Gesetz untersagt Staatsbediensteten wie Lehrern, Polizisten und Justizangestellten das Tragen religiöser oder weltanschaulicher Zeichen im Dienst. Die Lehrerin hatte daraufhin mit Bezug auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz das Land wegen Diskriminierung aufgrund ihres Glaubens verklagt. Das LAG hatte ihr in zweiter Instanz recht gegeben. Am Freitag wurde das Urteil mit dem Verzicht auf die Revision rechtskräftig.

Der Senat kann sich vielleicht noch ein bisschen zieren, bis er seine Einstellungspraxis generell ändert. Auf Dauer wird er das aber nicht verhindern können. Denn das LAG hatte in seinem Urteil eindeutig erklärt, man müsse das Berliner Neutralitätsgesetz im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auslegen. Dieses hatte 2015 in ähnlichen Fällen aus Nordrhein-Westfalen erklärt, ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnen sei unverhältnismäßig, da es die individuelle Glaubensfreiheit der muslimischen Frauen verletze. Solche Verbote seien nur möglich, wenn durch das Tragen des Tuchs der Schulfrieden „konkret“ gefährdet sei.

Gesprächsbedarf im Senat

Im Lichte dieser höchstrichterlichen Entscheidungen hatte das LAG geurteilt, das Neutralitätsgesetz müsse „verfassungskonform“ ausgelegt werden, indem das Kopftuchverbot nur noch in konkreten Ausnahmen gilt. Ansatzpunkt für diese Auslegung ist, wie aus der schriftlichen Urteilsbegründung ersichtlich wird, eine Klausel in Paragraf 3 des Neutralitätsgesetzes, wonach die Schulsenatorin Ausnahmen vom Kopftuchverbot erlauben kann. Nach dem LAG-Urteil müsste diese Ausnahme künftig die Regel sein.

Im Senat dürfte der Kopftuch-Konflikt noch für Gesprächsstoff sorgen. So stehen Innensenator Andreas Geisel (SPD) und der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) zwar weiter, wie Bildungssenatorin Scheeres, hinter dem Gesetz. Doch der grüne Justiz­senator Dirk Behrend sowie der linke Kultursenator Klaus Lederer würden es gerne abschaffen. Senatssprecherin Claudia Sünder sagte dazu, wenn Senatoren Gesprächsbedarf hätten, könnten sie den gerne anmelden: „Noch ist das nicht der Fall.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.