Unterschätztes Handwerk: Die allererste Zuschauerin

Die Hamburger Filmeditorin Magdolna Rokob schneidet sowohl ARD-Tatortkrimis als auch kleine unabhängig produzierte Dokumentarfilme.

Sie bestimmt am Computer den Stil und den Rhythmus der Filme mit, die auf ihren Tisch kommen: Magdolna Rokob. Foto: Miguel Ferraz

Nein, „Cutterin“ mag Magdolna Rokob gar nicht genannt werden. Da könne man sich ja kaum etwas drunter vorstellen und früher sei sie öfter gefragt worden, ob sie so etwas ähnliches wie eine Schneiderin sei. Sie ist eine Filmeditorin und vor ein paar Jahren gab es sogar einen Beschluss vom „Bundesverband Filmschnitt Editor“, durch den der antiquierte Begriff zwar nicht verboten, so doch aus allen offiziellen Schreiben verbannt worden ist.

Tatsächlich ist der Schnitt eines der wichtigsten Gewerke der Filmproduktion, aber auch eines der unscheinbarsten. Was als die Arbeit des Regisseurs angesehen wird, ist zu einem nicht unerheblichen Anteil am Schneidetisch vom Editor geschaffen worden. Aber dessen oder deren Arbeit wird außerhalb der Branche kaum geschätzt.

Fast ausschließlich Frauen

Es gibt nur sehr wenige bekannte Editorinnen, und hier ist die Geschlechtsbezeichnung eindeutig, denn sie sind allesamt Frauen: So war und ist Thelma Schoonmaker vom ersten bis zum aktuellen Film von Martin Scorsese seine Editorin und Bettina Böhler ist die deutsche Filmeditorin, die den Stil und den Rhythmus der Filme der sogenannten „Berliner Schule“ mitgeprägt hat.

Noch schneiden überwiegend Frauen Filme und dies erklärt Magdolna Rokob damit, dass das lange eher als Handarbeit denn als ein Handwerk angesehen wurde. Da wurde an einem Tisch geschnitten, geklebt und die einzelnen Filmstreifen wurden wie zum Trocknen auf einer Leine aufgehängt.

Das änderte sich dann grundlegend durch den digitalen Filmschnitt, der sich seit den 90er-Jahren sehr schnell durchsetzte. 1995 wurden noch etwa 50 Prozent der Hollywood-Produktionen mechanisch geschnitten. Heute tun dies nur noch noch einige Exoten und Nostalgiker.

Mit Glück zum Fernsehen

Rokob schnitt 1999 das letzte Mal einen Film auf 35-Millimeter-Material. Da die digitale Montage viel mehr mit Technik zu tun hat, sind nun auch die Männer daran interessiert und so gibt es inzwischen auch einige talentierte männliche Kollegen, während „zu viel Technik auf Frauen schnell abschreckend wirkt“, wie Rokob sagt.

Für sie war es schon früh der Traumberuf, Filme zu schneiden. Die Ungarin hatte kurz vor dem Abitur in einer Zeitschrift einen Artikel über eine Editorin gelesen und war davon so fasziniert, dass sie einen Bewerbungsbrief an das ungarische Fernsehen schrieb. Mit viel Glück bekam sie dort eine Ausbildungsstelle und arbeitete sich langsam in der Abteilung für Dokumentationen in der Hierarchie hinauf.

1983 sah sie in Ungarn keine Perspektive mehr für sich und landete nach einer abenteuerlichen Flucht in den Westen eher zufällig (eigentlich wollte sie nach Paris) in Hamburg. Einer ihrer Freunde studierte dort an der Hochschule für Bildende Künste (HFBK). Eine gut ausgebildete Editorin war hier gefragt, denn in Westdeutschland konnte man den Beruf weder lernen noch gar studieren.

Editorinnen waren rar

So begann sie damit, die Filme der Studenten zu schneiden. Der erste Film in ihrer offiziellen Filmografie ist der Kurzfilm „Ich warte unten“ von Hermine Huntgeburth aus dem Jahr 1987. Für Lars Becker montierte sie 1992 den Hamburg-Krimi „Schattenboxer“. Einen Namen machte sie sich mit dem Schnitt von Dokumentarfilmen und dabei schaffte sie den Durchbruch mit Ulrike Kochs „Die Salzmänner von Tibet“. 1995 arbeitete sie zum ersten Mal mit Zoltan Spirandelli zusammen, der seitdem bis heute – aktuell seinen neuen Tatort „Söhne und Väter“ – alle seine Filme von ihr schneiden lässt.

Ein ähnlich festes Vertrauensverhältnis hat Rokob mit den Dokumentarfilmerinnnen Beatrix Schwehm und Antje Hubert, für deren neusten Film mit dem Arbeitstitel „Das Panama-Projekt“ sie in den nächsten drei Wochen den Endschnitt machen wird. Wenn sie an diesem Beispiel die verschiedenen Prozesse ihrer Arbeit erklärt, wird deutlich, dass das Editieren eines Films viel mehr ist als das Zusammenfügen der einzelnen Aufnahmen.

Obwohl die Montage offiziell zur Postproduktion gehört, also jenen Arbeiten, die nach Abschluss der Dreharbeiten anfallen, ist Rokob schon viel früher in den Arbeitsprozess eingebunden. Denn sie baut immer dann, wenn neue Aufnahmen geliefert werden, aktuelle Schnittversionen und da Antje Hubert eine Langzeitbeobachtung gemacht hat, arbeitet auch Rokob schon seit über zwei Jahren an dieser Produktion.

An der Wand ihres Schnittplatzes hängt eine lange Abfolge kleiner Fotos und Zettel, aus der die Schnittfolge und somit die Dramaturgie des Films ersichtlich wird. Denn anders als bei fiktiven Filmen folgen Dokumentationen keinem Drehbuch und das Material bestimmt die Struktur.

Das unbestechliche Auge

Ihre vielleicht wichtigste Aufgabe dabei besteht darin, dass sie die allererste Zuschauerin ist, die mit einem genauen Blick auf das Filmmaterial schaut und der Regisseurin sagt, was funktioniert und was nicht, was noch fehlt und wo gekürzt werden sollte. Und auch bei den viel strukturierter produzierten Spiel- und Fernsehfilmen schaut sie nach jedem Drehtag das gefilmte Material an und bespricht mit dem Regisseur,was nach ihrer Meinung noch fehlt, was misslungen ist und eventuell noch einmal gedreht werden sollte.

Zu solchen Gesprächen, die einen wichtigen Teil ihrer Arbeit ausmachen, gehört viel Feingefühl, denn sie ist oft die Überbringerin schlechter Botschaften. So etwa, wenn sie Filmemacher überzeugen muss, „to kill their darlings“. Dies sind jene Aufnahmen, die den Regisseuren sehr am Herzen liegen, aber dem Film als Ganzem eher schaden als nutzen. Eine gute Editorin wie Rokob hat zugleich die nötige Nähe und die Distanz zu den Bildern, um dies besser zu erkennen als jene, die sie gemacht haben.

Kein Interesse am Set

So ist es interessant, dass sie überhaupt kein Interesse an den eigentlichen Dreharbeiten hat. Sie besucht sie nie, will auch die Schauspieler gar nicht persönlich kennenlernen, denn für sie zählen nur die Bilder, die sie mit einem möglichst unbestechlichen Blick sehen können muss.

Dies bedeutet aber nicht, dass sie sich etwa weigern könnte, wenn ein Produzent sie bittet, möglichst keine Nahaufnahmen von einer Schauspielerin zu verwenden, weil diese eine schiefe Nase hat. An dieser Anekdote wird deutlich, welche subtile Macht sie als Editorin über die Bilder hat; im Schnitt entscheidet sich letztlich beim Film alles.

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