Unmenschliche Zustände in Unterkünften: Das Versagen der Behörden

Am Hamburger Stadtrand weigern sich Flüchtlinge, einen Baumarkt zu beziehen. „Die Zustände sind unmenschlich“, sagt eine syrische Frau.

Eine schmutzige Baumarkt-Halle? Eher bleiben sie auf der Straße. Flüchtlinge protestieren in Hamburg-Bergedorf Foto: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Die 60-jährige Khadiga hat seit zwei Tagen nichts gegessen. Seit vier Tagen und drei Nächten ist sie auf der Straße. Sie gehört zu einer Gruppen von Flüchtlingen in Hamburg-Bergedorf, die sich weigern, die ihnen zugewiesene Unterkunft zu betreten.

„Wir sind schockiert über die Zustände drinnen“, sagt Khadiga. Zusammen mit 75 anderen, hauptsächlich syrischen Flüchtlingen, sitzt sie am Zaun vor einem leerstehenden Baumarkt. AnwohnerInnen haben ihnen Matratzen gebracht. Mit Decken schützen sie sich gegen die herbstliche Kälte. Am Freitag Nachmittag waren die Flüchtlinge von der zentral gelegenen Erstaufnahme in der Messe nach Bergedorf, an den Stadtrand, gebracht worden. 1.400 Flüchtlinge hatten zuvor in einer einzigen Halle geschlafen.

„Sie haben uns versprochen, dass es besser wird“, sagt ein syrisches Mädchen. Die 18-jährige Suzan war zwei Monate in der Messehalle. „Wir haben so lange auf diesen Moment gewartet“, seufzt sie. Erst am Freitag Morgen seien sie über den Umzug informiert worden. „Sie haben gesagt, wir kriegen Wohnungen oder Container.“ Vorgefunden hätten sie stattdessen eine leere, schmutzige Halle, ohne Betten, ohne Regale, ohne Trennwände. Ein beißender Chemikaliengeruch habe in der Luft gelegen. „Ich dachte, der Gestank könnte uns alle umbringen“, sagt Suzan.

Aus Angst vor Infektionen und um ihren Protest zu zeigen, sei eine Gruppe Flüchtlinge draußen geblieben. Ihr Gepäck wurde mit LKWs gebracht und auf dem Parkplatz abgeladen – in Mülltüten, alles durcheinander. Als sie gegen Abend hungrig zur Essensausgabe vor dem Baumarkt gegangen seien, habe man ihnen nichts gegeben.

„Die Wächter wollten unsere Registrierungspapiere sehen“, erzählt Suzan. Dokumente, die sie nur in der Halle hätten erhalten können. „Sie wollten uns rein locken.“ Lieber verzichteten die Flüchtlinge auf Nahrung. „Wir sind im Hungerstreik“, sagt Khadiga. „Die Halle ist kein Ort für Menschen. Höchstens für Tiere.“

Inzwischen hat Fördern und Wohnen, das Unternehmen, das fast alle Hamburger Unterkünfte betreibt, eingeräumt, dass Fehler passiert sind. „Wir bedauern das sehr“, sagt Susanne Schwendtke, Sprecherin des Unternehmens. „Aber in Zeiten wie diesen passiert so was mal.“ Es sei immer sehr viel auf einmal zu tun.

Dass das Unternehmen komplett überfordert ist, haben ehrenamtliche HelferInnen schon lange festgestellt. Am Sonntag hatte es ein stadtweites Vernetzungstreffen der verschiedenen selbstorganisierten Flüchtlings-UnterstützerInnen-Initiativen gegeben. „Das Versagen der Behörden ist beschämend“, sagte Franz Forsmann vom Hamburger Flüchtlingsrat.

Die AktivistInnen kritisierten unter anderem die Massenunterbringung der Flüchtlinge in den Randbezirken. „Hamburg ist eine Stadt der Lager geworden“, sagte der Recht-auf-Stadt-Aktivist Niels Boeing. „Es ist an uns, zu entscheiden, ob wir das akzeptieren, oder lieber eine Stadt der Ankommenden schaffen.“

Von Überforderung will Susanne Schwendtke nicht direkt sprechen. „Aber es wird immer schwieriger, Obdachlosigkeit zu vermeiden“, gibt sie zu.

Die Protestierenden vor dem Zaun wollen erst wieder essen, wenn die Behörden ihr Versprechen einlösen und für eine würdige Unterkunft sorgen, sagt Khadiga. Ein paar von der Gruppe seien schon rein gegangen – es ist kalt draußen und sie haben Hunger. „Ich bin zu alt für so was“, sagt die Syrerin. „Aber ich will, dass man unsere Geschichte hört.“

Dann fängt sie an zu weinen. Jemand spielt auf einem kurdischen Saiteninstrument, zwei Männer singen dazu. Drei andere Frauen müssen auch weinen. Ein Iraki übersetzt: „Ich habe mein Land verlassen, meine Stadt, meine Familie, und es geht mir nicht gut hier.“

Eine Nachbarin hat ihre Garage geräumt, damit die Kinder und zwei schwangere Frauen nachts dort schlafen können. Andere NachbarInnen bringen Wasser und Decken. „Mit den Nachbarn gibt es kein Problem“, sagt Khadiga. „Nur mit der Regierung.“

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