Umfragen beim „Münchner Merkur“: Meinung mogeln

Umfragen in Onlinemedien lassen sich elektronisch leicht manipulieren. Darin liegt eine neue Herausforderung für den Presserat.

Am Straßenrand liegen drei Kästen, aus denen man sich Zeitungen nehmen kann.

Der „Münchner Merkur“ ist die erste Zeitung, gegen die eine Beschwerde wegen Online-Umfragen eingelegt wurde Foto: imago/MiS

MÜNCHEN taz | Bei einer Online-Umfrage des Münchner Merkur über die umstrittene dritte Startbahn für den Flughafen München lehnten 54 Prozent der Teilnehmer die geplante Piste ab, 43 Prozent votierten dafür. Dirk Wildt, Vorsitzender des Grünen-Kreisverbandes Passau-Land, wollte testen, ob sich die Neinstimmen noch weiter nach oben schrauben lassen – mittels elektronischer Manipulation.

„Es ging ganz einfach“, erklärt er gegenüber der taz. An seinem PC-Browser deaktiviert er am 18. Mai 2017 die Speicherung von Cookies und stellt dann fest, dass er so bis zu 30 Stimmen gegen das Projekt im Erdinger Moos abgeben kann. Startet er den Router neu und erhält somit eine neue IP-Adresse, kann er wiederum 30-mal votieren.

Nach einer guten Stunde, so schreibt er in einer Dokumentation, hat er 182 Stimmen abgegeben und damit das Voting-Ergebnis kräftig verändert. Nun sind 58 Prozent gegen die Startbahn und nur 39 dafür. Was sind Umfragen wert, die so simpel verfälscht werden können? Und wie problematisch ist es, wenn gerade ein Zeitungshaus, das für hohe journalistische Grundsätze wie Wahrheit und Transparenz steht, die eigenen Umfragezahlen nicht ausreichend sichert?

Dirk Wildt strebt nun eine grundsätzliche Klärung an. Im Namen seines Grünen-Kreisverbandes hat er sich mit einer Beschwerde gegen den Münchner Merkur an den Deutschen Presserat in Berlin gewandt. Dieses Gremium aus Verleger- und Journalistenverbänden prüft, inwieweit Medienveröffentlichungen gegen den Pressekodex verstoßen.

Online-Umfragen sind überall

„Journalisten verbreiten grundsätzlich von ihnen überprüfte Informationen“, schreibt Dirk Wildt, „und tragen so zu einer hohen Glaubwürdigkeit der von ihnen berichteten Ereignisse und Nachrichten bei.“ Die Online-Umfrage profitiere in ihrer Aussagekraft von dem journalistischen Umfeld, in dem sie erscheint – also auf der Homepage des Münchner Merkur.Dass mit Umfragen Meinung gemacht wird, ist bekannt. Bürger orientieren sich an der tatsächlichen oder gefühlten gesellschaftlichen Mehrheitsauffassung.

Online-Umfragen durchziehen das gesamte Internet. Focus fragte nach den Kölner Silvester-Übergriffen: „Fühlen Sie sich als Frau in Deutschland sicher?“ Bild wollte unlängst wissen: „Soll es auf dem Oktoberfest eine Bierpreisbremse geben?“ Es wird nach dem Jugendwort des Jahres gefragt. Oder: „Wer vermisst Benedikt XVI.?“

Nach einer guten Stunde hat er 182 Stimmen abgegeben und damit das Ergebnis kräftig verändert

Wie sieht der Münchner Merkur, eine große bayerische Regionalzeitung, die Sache? „Solche Umfragen geben ein reines Stimmungsbild wieder und werden von den Online-Redaktionen sehr vieler Zeitungen durchgeführt“, sagt Markus Knall der taz. Er ist Online-Chefredakteur des Merkur und der tz, einer zum Verlag gehörenden Boulevardzeitung. „Die Antworten sind in keiner Weise repräsentativ, und das machen wir auch deutlich.“

Neue Aufgabe für den Presserat

Knall vergleicht die Votings mit herkömmlichen Straßenumfragen und sieht sie als „Mitmach-Elemente für die Leser“. Er gibt zu: „Es ist nicht aufwändig, die Schutzmechanismen zu umgehen.“ Deshalb würden dafür nur „ganz leichte, unverfängliche Themen und Fragestellungen“ genommen werden. Für sensiblere Themen gebe es Voting-Tools mit weitaus mehr Sicherheit, diese seien aber aufwändiger. Zur Kritik und der Presserats-Beschwerde meint der Chefredakteur: „Wir nehmen das sehr ernst.“

Bisher sind dem Presserat Beschwerden über manipulierte Online-Umfragen noch nicht untergekommen. „Das ist für uns eine völlig neue Fragestellung“, sagt Referent Arno Weyand. Das Gremium führt nun eine Vorprüfung durch, die Beschwerde könnte auf einer Sitzung im September behandelt werden.

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