Umbruch im Online-Journalismus: Die Leser entscheiden im Netz

Die Arbeit von Social-Media-Redakteuren wird auch für klassische Medien wichtiger. Denn viele User beziehen ihre Nachrichten über Facebook und Twitter.

Vielen gefällt es, Nachrichten über soziale Medien zu bekommen. Bild: ap

„Sorry, something went wrong. We’re working on getting this fixed as soon as we can.“ So lautete kürzlich die Nachricht beim Versuch, die Facebook-Homepage aufzurufen. Facebook war offline, eine halbe Stunde lang. Für User sind solche Ausfälle ärgerlich, für die Medien weltweit noch viel schlimmer. Denn die klassische Homepage wird immer unbedeutender.

Die New York Times geht in ihrem „Innovation Report“ zur Digitalstrategie sogar davon aus, dass die klassische Homepage tot sei. Ersetzt werden sie durch die sozialen Medien. Einer Analyse in den USA zufolge nutzen bereits heute knapp die Hälfte der Mitglieder deren Seiten, um sich über die Nachrichten zu informieren. Das ist vor allem praktisch: Wer hat morgens schon die Zeit, Spiegel Online, Zeit Online, sueddeutsche.de und die New-York Times-Webseite anzusurfen? Facebook und Twitter sammeln all das in einer Timeline. Ein Trichter in der breiten Nachrichtenflut.

„Wir sind dort, wo unsere User sind, und holen sie ab“, sagt Victoria Gorgs, Social-Media-Managerin bei Focus Online. Während die Expertin der sozialen Netzwerke bis vor Kurzem nur dafür zuständig war, die Texte der Nachrichtenseite für Facebook und Twitter aufzupeppen, hat sich ihr Aufgabenspektrum mittlerweile stark erweitert: „Wir sehen bei reddit und anderen relevanten News-Aggregatoren sofort, wenn sich ein Thema entwickelt, das unsere Leser interessieren könnte. Wir schlagen der Redaktion die Themen vor, über die die Netzgemeinde gerade spricht.“ Weiter erklärt Gorgs, dass die Redaktion umgekehrt darüber nachdenkt, was in den sozialen Netzwerken thematisch funktioniert. Der Social-Media-Manager als Themenscout.

Die Kommentarfunktion lässt den Leser wiederum direkt mit den jeweiligen Autoren und Social-Media-Experten in Kontakt treten. Diese Option können Redaktionen zu ihren Gunsten nutzen: Nach der Schwarmintelligenz folgt nun das „crowd sourcing“. Dabei helfen die User bei der Auswahl der Themen mit. Süddeutsche.de experimentiert damit gerade besonders transparent.

Leser reichen Themenvorschläge ein

Bei ihrem Projekt „Die Recherche“ reichen Leser Themenvorschläge ein. Die drei am häufigsten vorgeschlagenen Themen werden ausgewertet und zur erneuten Abstimmung freigegeben. Das Thema mit den meisten Stimmen gewinnt. Erst Anfang Juni ging das Projekt in eine neue Runde. Knapp 4.800 Leser beteiligten sich an der Abstimmung zwischen den drei Themen Transatlantisches Freihandelsabkommen, Diskriminierung und Arbeit.

Das Gewinnerthema – in diesem Fall das Freihandelsabkommen – wird schließlich von der Redaktion über einen längeren Zeitraum ausführlich recherchiert und in einem Online-Dossier veröffentlicht.

Aus dem passiven Leser wird ein interaktiver Nutzer und Gestalter. Hierbei wird noch ein weiterer Aspekt sichtbar, der bisher kaum eine Rolle spielte. Für den Social-Media-Manager ist nicht mehr nur der einzelne Nutzer wichtig, sondern auch die Freunde, die dieser bei Facebook hat. Ein Artikel-Like führt durch die virale Verbreitung eines Textes schnell zu mehreren Hundert Likes. Mitglieder mit vielen Freunden sorgen für eine größere Reichweite.

Mit der Verbreitung durch die Netzgemeinschaft wächst auch die Schnelligkeit der Verbreitung einer Nachricht. Durch den Einsatz von Social Media werden Inhalte noch schneller an den Leser gebracht als durch Online-Medien sowieso schon. Erneut steht der Journalismus also vor einem Umbruch: Zuerst vom Print in die Online-Welt und nun auf die Meta-Ebene des Online-Journalismus, in der Social-Media-Redakteure und Leser gemeinsam über die Relevanz von Themen entscheiden.

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