Ufa-Kinderstar Peter Bosse: Als Hitler das jüdische Kind streichelte

Als Kinderstar empfing ihn der „Führer“. 1939 musste er mit seiner Mutter untertauchen. Jetzt ist Peter Bosse gestorben.

Schwarzweißaufnahme einer alten Postkarte zeigt den jungen Peter Bosse

Der junge Peter Bosse als Kinderstar der Ufa Foto: akg-images

„Diese Überschrift geht nicht. Ihr Nachruf ist inkorrekt. Das senden wir nicht“, sagte der Radioredakteur.

„Aber das jüdische Kind wurde wirklich von Hitler gestreichelt.“

„Soso. Und wo?“

„Am Kopf.“

„Nein, ich meinte, wo bitte topografisch?“

„Ach so. In der Reichskanzlei hat Hitler es …“

„Gestreichelt?“

„Ganz recht, Herr Doktor. Dezember 37, und …“

„Sie wollen mir erzählen, dass ein jüdisches Kind …“

„Halb, Herr Doktor. Nach den Nürnberger Gesetzen galt Peter ab 1935 als ‚Halbjude‘.“

„Darauf kommt es jetzt nicht an, Herr Richter.“

„Damals schon. Nur als sogenannter Halbjude und geschützt durch seinen ‚arischen Vater‘, Dr. Kurt Bosse, bekam der ‚nichtarische‘ Peter die Erlaubnis, in dem Ufa-Film 'Vergissmeinnicht“ ein mutterloses Kind zu spielen. Da war er 5 Jahre alt. Peters wirkliche Mutter war Jüdin. Und sie war ebenfalls bei Hitler in der Reichskanzlei zu Gast.“

„Wo der Judenfresser ihr die Hand geküsst und deren Sohn gestreichelt hat? Lieber Herr Richter, wir sind hier in der Kulturredaktion und nicht beim Kinderfunk. Wer hat Ihnen diesen Unsinn überhaupt … Ich meine, von wem haben Sie das?“

„Na, von ihm selbst!“

„Ach, der kann ja viel erzählen, wenn der Tag lang ist.“

„Nein, kann er nicht. Er ist tot.“

„Mir ist bekannt, dass Hitler tot ist.“

„Nein. Der lebt. Zieht nur immer wieder um. Heute ein Umzug nach Chemnitz und morgen …“

„Also wenn Sie mir hier polemisch kommen … Wie heißt denn nun das Kind vom Hitler?“

„Wie bitte?“

„Sie bringen mich ganz durcheinander. Also, das Judenkind, das vom Hitler …“

„Peter Bosse.“

„Ich kenne nur den Musiker Bosse. Indie-Pop. Guter Mann.“

Keine Ehrung für Bosse

Hans Rosenthal schaffte es beim Rias bis zu seinem eigenen Platz in Schöneberg. In Deutschlands Radiokulturlandschaft schaffte es der tote Radiomann Peter Bosse nicht mal auf einen Sendeplatz von zwei Minuten. Vielleicht war sein Radius zu Lebzeiten zu klein. Aber er gründete immerhin das „Spree Radio“ für Leute ab 50. Nicht meine Welle. Aber ehrenhaft durchaus.

Nun hat, wie ich höre, RTL den Seniorensender geschluckt, und bei den Luxemburger Jungs gibt es kein Altern. Also auch keine Ehrung für den am 21. September 2018 verstorbenen Gründer-Boss. Jetzt versuche ich also hier mal etwas in Richtung Bosse-Bio.

Wenn der bürgerlich-christliche Jurist Kurt Bosse nicht, trotz des Drucks der Nazis, an der „Mischehe“ mit Hilde Maroff, einer deutsch-jüdischen Schauspielerin, eisern festgehalten hätte, wäre deren Sohn Peter nie zum Kinderstar bei der Ufa avanciert. Als mutterloses „Peterle“ rührte er das deutsche Kinopublikum. Doch was 1935 und 1936 von der Mutter geschickt vor der alles überwachenden Reichskulturkammer hatte kaschiert werden können, führte ab dem Kriegsjahr 1939 zur Flucht in den Untergrund.

Wenn Kurt Bosse nicht eisern an der „Mischehe“ mit Hilde Maroff, einer deutsch-jüdischen Schauspielerin, festgehalten hätte, wäre ihr Sohn Peter nie zum Kinderstar bei der Ufa avanciert

Kurt Bosse wurde zur Strafe für seine Zivilcourage in eine Strafkompanie gesteckt und überlebte die Nazis. Aber nicht den Kommunismus.

Da hatte Goeb­bels gepatzt

Leider gibt es keinen Live-Mitschnitt von Hitlers Tobsuchtsanfall, als ihm klar wurde, einer jüdischen Mutter die Hand geküsst und ihren Judenjungen gestreichelt zu haben. Skandal in der Reichskanzlei! Da hatte Goeb­bels gepatzt. Dabei hatte der kleine Kinderstar doch nur wie die großen Stars Rühmann und George in der Friedrichstraße für das Winterhilfswerk mit der Sammelbüchse gestanden.

Laut Filmkurier vom 6. 12. 1937 sieht man „den kleinen Schauspieler Peter Bosse“ am Tag der Nationalen Solidarität seiner solidarischen Pflicht nachgehen. Leider gibt es kein Foto, wie Peterle in Begleitung der Mutter beim Führer die volle Büchse abgibt.

Dafür ist immerhin folgender Trialog in der Reichskanzlei im Dezember 37 überliefert:

„Hast du ’ne Batterie?“, fragt der kleine Bosse den Oberboss.

„Was meint der Junge?“, fragte Hitler. Worauf einer seiner Vasallen antwortete: „Eine Batterie für Ihr Schiff, mein Führer.“ Mutter Bosse moderierte mit Blick auf das Schiffsmodell „Aviso Grille“ in der Halle: „Der Peter meinte, weil seine Spielzeugautos zu Haus alle mit Batterie betrieben werden.“

Eine Tausendsassa-Karriere

Wir wissen weder, ob Hitler geschmunzelt hat, noch ob er Batterien zwecks Erleuchtung besorgen ließ. Ich weiß nur, dass ab 1939 die Filmkarriere des kleinen Bosse beendet war und Mutter mit Kind untertauchte.

Später machte der erwachsene Peter Bosse in der DDR eine Tausendsassa-Karriere. Als Schauspieler, Fernseh- und Radiomoderator. Dann im Westen. Nicht immer in der ersten Reihe, aber in der zweiten sieht man manchen Mann oft besser.

Immerhin wird ihn, wie ich hörte, der einst erste Mann Berlins, Eberhard Diepgen, am 8. Oktober mit einer Trauerrede ehren. Diepgen hatte einst im Radio gesagt, der Zweite Weltkrieg sei für ihn erst 1994 zu Ende gewesen, als die Sowjetarmee Deutschland verlassen hatte. So etwas bringen die. Aber nicht, wie der Hitler den Bosse streichelte.

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