US-Raketenangriff in Syrien: Viel Schall und Rauch

Der US-Raketen trafen eine von Assads wichtigsten Basen. Was richteten sie an? Wie empört ist Russland wirklich?

Raketen werden von einem Schiff abgeschossen

Die Tomahawk-Raketen werden von der USS Ross abgeschossen Foto: Robert S. Price/U.S. Navy/ap/dpa

BERLIN/GENF/KAIRO taz | Es war noch tief in der Nacht, als im östlichen Mittelmeer die ersten Marschflugkörper in den Himmel stiegen. 59 Tomahawk-Raketen insgesamt starteten ab etwa 4.40 Uhr Ortszeit am frühen Freitagmorgen von den US-Kriegsschiffen „Ross“ und „Porter“ in Richtung einer der wichtigsten Luftwaffenbasen Syriens: Schayrat, 31 Kilometer südlich der Stadt Homs. Es war der erste gezielte Raketenangriff der USA gegen das Assad-Regime, über sechs Jahre nach Beginn eines Bürgerkrieges mit fast einer halben Million Toten.

US-Präsident Donald Trump hatte den Angriff als Vergeltung für den Chemiewaffenangriff gegen den syrischen Ort Chan Scheichun am vergangenen Dienstag angeordnet. Der Abschuss der Raketen erfolgte zur besten US-Sendezeit am Donnerstagabend. „Assad hat das Leben unschuldiger Männer, Frauen und Kinder abgewürgt“, erklärte er. „Es war ein langsamer und brutaler Tod für so viele. Sogar wunderschöne Babys wurden in diesem sehr barbarischen Angriff grausam ermordet. Kein Kind Gottes sollte je einen solchen Horror erleiden. Heute Abend habe ich einen gezielten Militärschlag auf den Flugplatz angeordnet, von dem aus der Chemieangriff startete.“

Von den sechs Militärflughafen unter Kontrolle des syrischen Assad-Regimes gilt Schayrat nach Angaben des Militärexperten Neil Hauer als „einer der größten und aktivsten“. Die Basis mit zwei Pisten und 40 befestigten Hangars ist das Hauptquartier einer syrischen Brigade sowie dreier Luftwaffenschwa­drone; es sind auch 12 russische Militärhubschrauber samt Personal stationiert. Bis 2013 wurden dort auch chemische Kampfstoffe gelagert. Viele syrische und russische Luftangriffe auf Zivilisten sind von Schayrat aus geflogen worden.

Die US-Marschflugkörper zielten laut Pentagon auf „Flugzeuge, befestigte Hangars, Öl- und Logistiklager, Munitionsbunker, Luftabwehr und Radar“. Was sie anrichteten, ist unklar. Auf in sozialen Netzwerken verbreiteten Fotos waren mehrere verkohlte Flugzeuge zu sehen. Das syrische Staatsfernsehen zeigte eine von Geröll übersäte Flugpiste.

Die Freie Syrische Armee (FSA), wichtigste nichtislamistische Rebellengruppe, sprach von 14 zerstörten Flugzeugen und sagte, der Flugplatz sei nicht mehr benutzbar und es seien hochrangige Militärangehörige getötet worden, darunter der für Luftabwehr zuständige Brigadegeneral. Berichte, wonach die Basis zerstört sei, wurden später allerdings von allen Seiten relativiert.

Russen wurden offenbar vorab informiert

Bestätigt ist die Zerstörung von sechs MiG-23-Kampfflugzeugen, die sich in Reparatur befanden. Die anderen rund 30 syrischen Kampfjets und Bomber blieben entweder heil oder wurden rechtzeitig weggebracht, ebenso wie die russischen Kampfhubschrauber.

Der syrische Tisch ist umgestoßen. Alle überlegen, was das für sie bedeutet

Das russische Militär, das Syriens Assad-Regime schützt, wurde offenbar vorab von den USA vor dem Angriff gewarnt, um eine direkte russisch-amerikanische Konfrontation zu vermeiden. Der größte Teil des Kampfgeräts in Schayrat konnte so in Sicherheit gebracht werden. Nach US-Angaben schaltete das russische Militär außerdem seine Luftabwehr ab, die im Hafen Latakia mit dem hochmodernen S-400-Raketenabwehrsystem – das erst 2011 entwickelt wurde – stationiert ist und selbst hoch fliegende Raketen abschießen kann. Nach russischen Militärangaben trafen zwar nur 23 der 59 US-Raketen ihr Ziel, aber es ist keine Rede von abgeschossenen oder abgefangenen Flugkörpern.

Die meisten Kommentatoren und US-Politiker gehen davon aus, dass dies ein isolierter Militärschlag war und nicht der Beginn eines US-Krieges gegen Assad in Syrien. Laut Analysten entsprach der Angriff ziemlich genau dem, was das US-Militär im Sommer 2013 als Vergeltung für die damaligen Chemiewaffenangriffe des syrischen Re­gimes ausgearbeitet hatte. Bei diesen waren östlich von Damaskus 1.400 Menschen umgekommen. Barack Obama zuckte schließlich zurück. Donald Trump nicht.

Syrien

Ob das jetzt zu einer Eskalation führt, hängt von den Reaktionen ab. Trump hat den syrischen Tisch umgestoßen und alle, die daran vor sich hin dösten, sind aufgeschreckt und überlegen sich, was das zerbrochene Porzellan für sie bedeutet.

Die westliche Welt hat den Militärschlag vorsichtig abgenickt. Es lässt sich auch kaum dagegen argumentieren, dass auf einen Giftgasangriff reagiert wurde. In Europa hofft man jetzt, dass das den Beginn eines Friedensprozesses in Syrien darstellen könnte, seien Assad doch endlich einmal seine Grenzen aufgezeigt worden.

„Initialzündung für eine produktive Lösung“

So äußerte der außenpolitische Sprecher der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, Elmar Brok, einerseits Besorgnis: „Wenn Moskau jetzt auf den amerikanischen Angriff militärisch reagiert und dieses wiederum Reaktionen auf amerikanischer Seite auslöst, kann dies zu einer Eskalation zwischen zwei Atommächten führen, die sich schnell hochschaukelt und unkontrollierbar werden könnte.“

Der US-Angriff könne aber auch eine „Initialzündung für eine produktive Lösung“ im Syrienkrieg darstellen, so Brok weiter: „Um weitere Konfrontationen zu vermeiden, könnte Russland den Angriff als Si­gnal verstehen, sich als Konfliktpartei in Syrien zurückzuziehen und die faktische Blockade der Genfer Friedensgespräche endlich aufzugeben.“ Dadurch würde Europa eine wichtige Mittlerrolle übernehmen.

Die erste Reaktion Syriens kam am Vormittag. Ein Militärsprecher erklärte, dass sich die USA zum Partner der Dschihadisten gemacht hätten. So weit, so absehbar: Das syrische Regime bellt – aber es weiß genau, dass es nicht beißen kann. Das muss es seinen Verbündeten Russland und Iran überlassen.

„Eine Aggression gegen einen souveränen Staat“

Kremlsprecher Dmitri Peskow nannte den US-Militärschlag in Moskau „eine Aggression gegen einen souveränen Staat, gegen das Völkerrecht, dazu noch unter einem erdachten Vorwand.“ Die syrische Armee habe „keine Chemiewaffen mehr“. In einer ersten Reaktion setzte die Regierung Putin eine aus dem Oktober 2015 stammende Vereinbarung mit dem US-Militär aus, nach der sich beide Großmächte vorab gegenseitig über Militärflüge über Syrien verständigen, um Kollisionen zwischen ihren Flugzeugen zu vermeiden.

Iran sagte, solche Angriffe würden „die Lage in dem Bürgerkriegsland und der Region schwieriger machen“ und warnte vor negativen Auswirkungen im Irak. De facto arbeiten Washington und Teheran dort nämlich gegen den IS zusammen. In der Schlacht um Mossul lenkt der Iran mit US-Luftunterstützung zum Teil die irakischen Bodentruppen.

Syriens Rebellen sind naturgemäß entzückt. Die Syrische Nationalkoalition (SNC) sagte, der Angriff zeige, „dass es noch Menschlichkeit auf dieser Welt gibt“. Trump ist der neue Held. Es wurde schon angekündigt, dass in den Rebellengebieten Neugeborene demnächst den Namen „Donald“ erhalten.

Ein erster Militärschlag ist immer der leichteste Teil der Übung. Lange epische Geschichten in der arabischen Welt haben schon mehrmals mit dem Aufstieg von Tomahawk-Raketen von US-Kriegsschiffen begonnen, beispielsweise im Irak 2003. Sooft sie ihr militärisches Ziel getroffen haben, so oft haben sie am Ende ihr politisches Ziel verfehlt.

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