US-Präsident hält Trauerrede in Charleston: Dann singt Obama „Amazing Grace“

Klare Worte: Barack Obama spricht in Charleston über Rassismus, Gnade und Vergebung. Es war eine der bewegendsten Reden seiner Amtszeit.

Barack Obama an einer Kanzel, hinter ihm Pastoren

„Sie haben Gnade gefunden“: Barack Obama in Charleston Foto: ap

CHARLESTON taz | Es war als Trauerrede angekündigt. Doch Barack Obama verwandelte seine Rede über die Tragödie in der Emanuel AME Kirche in Charleston, in der neun Menschen von einem 21-Jährigen aus rassistischen Motiven getötet wurden, in eine Demonstration der Stärke, der Einheit und des Glaubens. Er würdigte die Leben der Ermordeten. Er würdigte die Rolle der schwarzen Kirche. Er befasste sich mit Sklaverei, mit Menschenrechten, mit den Beziehungen zwischen Schwarzen und Weißen und mit der Möglichkeit einer besseren Zukunft.

Und es gelang ihm in einem außerordentlichen Schlenker, den Mörder von Charleston als ein Werkzeug Gottes zu beschreiben. Als einen, der sein Land, ohne es zu wollen, zu einer Reaktion gezwungen hat: „Zurückweisung, Großzügigkeit, Nachdenken und Selbstprüfung, wie sie im öffentlichen Leben selten sind“, so Obama.

„Gnade“ war das Leitmotiv der Rede am Freitagnachmittag. Es erreichte seinen dramatischen Höhepunkt, als der Präsident überraschend das Lied „Amazing Grace“ anstimmte. Die mehr als zwei Dutzend Pastoren und Bischöfe, die hinter Obama saßen und die mehr als 5.000 Menschen vor ihm erhoben sich, wiegten sich im Rhythmus und fielen in den Gesang des Präsidenten ein. In ihr Summen und in die auslaufenden Orgelklänge hinein rief Obama den Namen von Pastor Clementa Pinckney. Dann die Namen der anderen acht Ermordeten. Jeweils gefolgt von den Worten: „hat die Gnade gefunden“.

Es war eine der bewegendsten Reden, die Obama in seinen sechseinhalb Jahren im Amt gehalten hat. Gleich in den ersten Sätzen seiner Rede steckte er das Terrain ab. Sagte die Worte „Gott“, „Bibel“ sowie „Hoffnung“ und „Glauben“. Und sprach – und sang – als wäre er unter Kirchenleuten und in Charleston zuhause.

Dabei hat Obama die Stadt im tiefen Süden zuletzt in seinem Wahlkampf im Jahr 2007 besucht. Damals begegnete er zum ersten Mal dem elf Jahre jüngeren Pinckney, dem charismatischen Pastor und beliebten demokratischen Politiker von South Carolina. Später sollte er ihn unter anderem im Weißen Haus wiedertreffen. Zuletzt hörte er von ihm, als Senator Pinckney zwei Monate vor seinem eigenen Tod Gebete für den von einem Polizisten in North Charleston erschossenen Afroamerikaner Walter Scott organisierte. Und als er als Senator in South Carolina in Rekordgeschwindigkeit ein Gesetz durchpaukte, das Polizisten zum Tragen von Körperkameras zwingt.

Seit dem Massaker haben sich die USA in Zeitraffer mit einem besonders dunklen Kapitel ihrer Geschichte auseinandergesetzt. Nicht nur die Gouverneurin von South Carolina, sondern auch die Bundesstaaten Alabama und in Mississippi haben entschieden, die Konföderierten-Flagge einzumotten, die sie zuvor 152 Jahre lang als „Erbe“ und „Tradition“ geehrt und gehisst hatten. Bei seiner Trauerrede nannte der Präsident die Fahne „eine Erinnerung an eine systembedingte Unterdrückung und an rassistische Unterwerfung“.

Ebenfalls seit dem Attentat dreht sich die nationale Debatte auch um andere Symbole der Sklaverei. In Charleston läuft jetzt eine Unterschriftenkampagne, um die Straße vor der Emanuel-AME-Kirche in den Namen des ermordeten Pastors umzubennen. Bislang trägt sie den Namen Calhoun – nach einem Politiker und Ideologen des 19. Jahrhunderts, der die Sklaverei nicht nur als „notwendiges Übel“, sondern als „positiven Wert“ beschrieben hat. An zahlreichen Orten quer durch die USA – darunter Austin, Baltimore und St Louis – ist in den vergangenen Tagen auf Denkmälern, die die Veteranen der Konföderierten ehren, der Slogan „Black Lives Matter“ aufgetaucht.

In Charleston warnte der Präsident davor, nach den Beerdigungen, die noch bis in die nächste Woche hineinreichen, zum Alltag zurückzukehren. „Es wird Rückschläge geben“, sagte er. Sowohl in dem Verhältnis zwischen Weißen und Afro-Amerikanern, als auch in der Debatte um Waffen. Aber das Land möge, so wünschte es sich der Präsident in Charleston, die Gelegenheit nutzen, die durch die „Bereitschaft zum Vergeben“ entstanden sei.

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