US-Boomsport Wettessen: 96 Hot Dogs als spirituelle Übung

Joey „Jaws“ Chestnut kann mehr fressen als jeder andere. Er ist Profi bei der Major League Eating (MLE). Ein perverser Beruf.

Joey Chestnut macht das, was er am besten kann: fressen. Bild: imago/UPI Photo

BERLIN taz | Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist Konsum Selbstzweck und die Menschen messen sich gerne – denn auch der Wettbewerb ist integraler Bestandteil des Eigenverständnisses der US-Amerikaner. Konsum und Wettkampf verbinden sich auf nahezu beängstigend perfekte Weise in der boomenden Disziplin Wettessen.

Der unbestrittene Champion der Szene ist Joey „Jaws“ („Kiefer“) Chestnut. Der Kalifornier hat am Sonntag im Casino von Ledyard, Connecticut, einen ganzen Truthahn aufgefressen. In zehn Minuten. Dabei hat er den alten Rekord von 2,38 Kilogramm (2011) pulverisiert: „Jaws“ würgte 4,42 Kilo Fleisch herunter.

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2007 gewann er erstmals den wichtigsten Wettbewerb der Szene: „Nathan's Hot Dog Eating Contest“, der alljährlich am Unabhängigkeitstag auf Coney Island, New York, stattfindet. Er besiegte mit 66 Stück in 12 Minuten den Japaner Takeru „Tsunami“ Kobayashi souverän. „Jaws“ verteidigte seinen Titel insgesamt achtmal in Folge. Sein Rekord steht jetzt bei 69 in zehn Minuten (2013).

Aber auch der Japaner schrieb Hot-Dog-Geschichte: Bis 2001 gewannen meist stiernackige Schwergewichte den Wettbewerb. Dann schlug „Tsunami“ zu und schockte die Welt, indem er die Marke von 25,5 auf 50 Stück hochschraubte. Er gewann den Hot-Dog-Wettbewerb sechsmal in Folge – bis Joey kam. Im Gegensatz zu früher sind die Stars der Szene heute selten dick. Sie verfügen vielmehr über extrem dehnbare Mägen und spezielle Fresstechniken.

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Der 1,83 Meter große Chestnut wiegt rund 100 Kilo. Er hält viele Rekorde, unter anderem die fürs Verschlingen von Matzeballen, Bratwürsten und hartgekochten Eiern (141 in acht Minuten). Jährlich ist der Champion über 100 Tage im Dienste des Wettfressens unterwegs und verdient damit pro Saison rund 230.000 Dollar. „Aber Jaws“ hat auch was über den Kiefern. Er sagt über seinen Sport: „Es geht um Tatkraft, Dynamik und Hingabe. Letztendlich ist Hot-Dog-Essen eine Herausforderung für Körper und Geist.“ Eine Art Pilgergang auf Knien, einschließlich Gebet also.

Kampfnamen wie Wrestler

Der von den Protagonisten als „Sport“ bezeichnete Irrsinn ist ähnlich absurd wie Wrestling. Eine weitere Gemeinsamkeit: Auch die Spitzenmampfer tragen Kampfnamen wie „Jammin'“ Joe LaRue, Bob „Killer“ Kuhns, Ian „The Invader“ Hickman, Patrick „Deep Dish“ Bertoletti oder Mark „The Human Vacuum“ Lyle (hier stellt sich die Frage, für welchen Körperteil das Vakuum gilt).

Veranstaltet werden die meisten Fresswettbewerbe von den Gebrüdern Shea und ihrer Major League Eating (MLE). Die Brüder füllen sich die Taschen, während die „Athleten“ sich die Mägen füllen. Sie haben die besten Vielfresser unter Vertrag und verdienen bei deren Werbeeinnahmen kräftig mit. Darüber hinaus verbieten sie die Teilnahme an Wettbewerben anderer Organisationen.

Nicht nur „Tsunami“ liegt wegen des Geschäftsgebarens der Sheas mit der MLE im Clinch. Viele „Sportler“ haben sich der Konkurrenz „All Pro Eating“ (APE) angeschlossen. Die Organisation, bezeichnet sich als unabhängig und betont das „Fair Play“ mit den „Picnic Style Rules“ und einem „Eater Code of Ethics“ („Ethischer Kodex für Esser“). So dürfen die Speisen vor dem Hinunterschlingen nicht zerpflückt oder eingeweicht werden – wie es MLE-ler häufig tun. Auf der APE-Webseite ist zu lesen, dass die Regeln für „Eleganz und Respekt“ gegenüber Essern und Gegessenem stehen.

Widerliche Listen
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Die Organisationen sind sich in einem einig: Wer während oder direkt nach einem Wettbewerb kotzt, wird sofort disqualifiziert. Ansonsten haben APE und MLE ihre eigenen Rekordlisten, die sind lang – und widerlich.

Der Star der APE ist eine Frau. Auch Molly Schuyler hält zahlreiche Bestmarken. Im Januar 2014 gewann sie die „Wing Bowl“, die kurz vor dem Superbowl-Finale in Philadelphia stattfand. Über 20.000 Menschen schauten sich das live an, viele andere im Fernsehen. Beim „Wing Bowl“ fraß Molly, die keinen Kampfnamen trägt, 363 Chicken-Wings – und entriss damit „Tsunami“ den Rekord von 2012.

Der Wettkampf ging über drei Runden: Nach den beiden ersten 14-minütigen Runden lag sie mit 334 noch drei hinter Kobayashi, aber in der finalen zweiminütigen Speedrunde legte sie noch 29 Flügel drauf. Da denkt man automatisch an den Wettbewerb mit dem schönsten Namen: „The Alka-Seltzer U.S. Open of Competitive Eating“.

Die MLE will in Zukunft weitere Märkte erschließen. Richard Shea droht: „Wir sehen auch Möglichkeiten in Europa. Deutschland würden wir gern einmal besuchen.“ Da sei „Brot für die Welt“ vor.

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