UN-Klimakonferenz in Lima: Dicke Luft, dünner Konsens

Schwellenländer wollen sich partout nicht verpflichten, mehr für den Klimaschutz zu tun. Das Ergebnis ist ein Minimalkompromiss.

Klima-Aktivisten machen sich über die USA, Australien, Kanada, China, Indien, Russland und Japan lustig Bild: ap

LIMA taz | Der Hinderniskurs hat 14 Stationen: Die Soldaten der peruanischen Armee erwartet direkt neben der Zeltstadt der Klimakonferenz ein schweißtreibender Parcours durch den braunen Staub. Es geht über schwarz-orange Eisengitter, splitternde Holzwände, Kriechgänge unter rostigem Drahtverhau und grobe Kletterseile.

Weil die Klimakonferenz von Lima auf dem Gelände des Armeehauptquartiers stattfindet, drängen sich die Parallelen auf: Der Weg zu einem Klimaabkommen 2015 in Paris ist seit Jahren gespickt mit Wut, Schweiß und Tränen, mit unzuverlässigen Seilschaften und mühsamem Fortschritt. Aber das Ziel der Quälerei ist in Sicht. Lima ist die vorletzte Hürde auf dem Weg zu einem Klimaabkommen. Draußen auf dem Parcours ist das eine zwei Meter tiefe Grube.

Samstagmittag sitzt die Konferenz in der Falle. Eigentlich sollte das Treffen seit zwölf Stunden vorbei sein, aber die 194 Staaten finden den nötigen Konsens nicht. In dem 40 Meter breiten und 100 Meter langen Riesenzelt namens „Cusco“, das wie die ganze Zeltstadt von der Fußball-WM in Brasilien herbeigeschifft wurde, herrscht eine Stimmung wie beim 1:7 der Selação bei der WM gegen die Deutschen.

2.000 Menschen drängen sich in dem stickigen Zelt, wo bereits der zweite hoffnungsvolle Kompromissvorschlag der Konferenzvorsitzenden geschlachtet wird. Sudan lehnt für die afrikanischen Staaten den Kompromiss als unzumutbar ab. Den ärmsten Ländern fehlen Zusagen über Finanzhilfen. Saudi-Arabien wirft den Autoren Einseitigkeit vor, ein Todesurteil in der UNO: „Sie können nicht eine Seite ignorieren und behaupten, das sei ausgewogen.“ Der Delegierte aus Malaysia ruft in den Saal: „Viele von euch haben uns kolonisiert!“

Differenzierung heißt das Zauberwort

Dann ergreift Gao Feng, der chinesische Verhandler, das Wort. „Der Text ist weiterhin sehr unausgewogen“, sagt der umgängliche Diplomat, der sein Handwerk beim UN-Klimasekretariat gelernt hat. Es fehle vor allem „die Differenzierung“. Es ist 12.31 Uhr. Die Konferenz ist scheintot.

„Differenzierung“ ist das Zauberwort. An ihr entscheidet sich der Erfolg von Lima, von Paris und das Schicksal des gesamten Klimaprozesses. Diese „Brandmauer“, wie viele Insider sagen, bedeutet in der UN-Sprache eine strikte Trennung der Industriestaaten von den Schwellen- und Entwicklungsländern. Die ersten haben das Problem Klimawandel verursacht, die anderen leiden darunter. Die ersten müssen ihre Emissionen reduzieren und den anderen beim Klimaschutz helfen. Die ersten sind mit einem „Annex I“ in der Klimarahmenkonvention gebrandmarkt, die anderen nicht.

Das entsprach der Welt von 1992, als diese Konvention beschlossen wurde. Inzwischen liegen die gemeinsamen Emissionen aus Ländern wie China, Indien und Brasilien über denen der USA und der EU. In 15 Jahren werden diese jetzigen Schwellenländer dreimal so viel CO2 ausstoßen wie der „reiche Norden“, wenn sich nichts ändert. „Die Konvention bildet die Realität nicht mehr ab“, sagt auch Saleemul Huq aus Bangladesch, der den britischen Thinktank IIED vertritt.

Um das zu ändern, sollen sich alle Staaten zum Klimaschutz ab 2020 verpflichten, hat die Klimakonferenz 2011 beschlossen. Seitdem wird darum gekämpft, was Umweltsekretär Jochen Flasbarth die „zentrale Weichenstellung“ für die internationale Politik nennt: die Schwellenländer in die Klimaverantwortung zu nehmen. Die wehren sich dagegen allerdings mit Händen und Füßen.

Abkürzungsirrsinn der Konferenz

Deshalb haben die Vorsitzenden der Konferenz einen kleinen Begriff in das Papier geschmuggelt: Geld für Klimaschutz und Anpassung sollen „Industriestaaten zahlen und Länder, die in einer Position sind, das auch zu tun“. Die „position to do so“ wird im Abkürzungsirrsinn der Konferenz schnell zu „potodoso“. Und zum Schreckgespenst der Sitzung in Lima: „völlig inakzetabel“, ein „Verstoß gegen bestehendes Recht“, ein „Überschreiten der Konvention“. Auch eine leichte Abschwächung in Länder, „die gewillt sind, das zu tun“, besänftigt nicht den Zorn der sogenannten Entwicklungsländer.

Sie wollen, dass die Brandmauer der Konvention bestehen bleibt. Claudia Sodano, die Sprecherin der Delegation aus Venezuela, reagiert allergisch auf „Potodoso“: „Damit sollen wir armen Länder dazu gebracht werden, die gleichen Bürden zu übernehmen wie die reichen, die ihre Pflichten nicht erfüllt haben.“ Sodana ist unter den Delegierten aus dem Norden berüchtigt, weil sie lange, laut und bis zur Schmerzgrenze ihren Standpunkt vertritt. „Diese Trennung in arme und reiche Länder gibt es überall in der UNO, wir können nicht einfach die Regeln ändern.“

Es kommt, wie es kommen muss. „Potodoso“ verschwindet aus dem Konzept. Und in der letzten Version, die eine völlig übernächtigte Konferenz am Sonntagmorgen abnickt, ist aus dem Schreckgespenst ein zahmer Hausgeist geworden: Wenn sonst noch jemand Geld geben will: bitte schön, danke schön. Mehr nicht.

Aber das Problem muss spätestens bis Paris gelöst werden. Der Weg dahin heißt für viele Staaten, auch für die USA: „Selbstdifferenzierung“. Die Länder sollen selbst sagen, ob sie nicht mehr machen wollen beim Klimaschutz. Das sollen sie bei den Kriterien für ihre Ziele angeben, die in der grauenhaften UN-Sprache INDC („Intended Nationally Determinded Contribution“) heißen. Der Trick dabei: Viele Staaten wollen selbst vorangehen.

Brasilien hat einen viel beachteten Vorschlag vorgelegt, wie Industriestaaten und später auch Schwellenländer ihren Teil zum Klimaschutz beitragen können. Die Idee: Wenn sich ein Land wie Korea verpflichtet, setzt es andere unter Druck. Denn wie sieht das aus, wenn ärmere Länder für den Klimaschutz zahlen, reichere aber nicht? Beim „Grünen Klimafonds“ ist genau das passiert: Auch Peru und die Mongolei haben etwas Geld gegeben – Saudi-Arabien und China nicht.

Das Gespenst wird wieder kommen

An „Potodoso“ kippte dann in Lima auch die Stimmung. Bis zum vorletzten Tag waren alle Teilnehmer und Beobachter irritierend optimistisch. Klug hatten die Vorreiterstaaten die Stimmung über das Jahr befeuert: Erst kamen die Warnungen des UN-Klimarats IPCC, dann der Sondergipfel von Ban Ki Moon in New York. Die EU verkündete ein ehrgeiziges Klimaziel, die USA und China landeten mit ihrer Kooperation im November einen Coup, und 10 Milliarden Dollar landeten im „Green Climate Fund“. Dann kamen aus Deutschland zu Beginn der Konferenz zwei wichtige Meldungen: der Klima-Musterschüler steht zu seinem 40-Prozent-Ziel bis 2020. Und der größte deutsche Stromversorger Eon will in Zukunft nur noch grünen Strom produzieren. Die Konferenz schwebte auf einer rosa Wolke.

Dann kam „Potodoso“. Und verschwand wieder.

Das Gespenst wird wiederkommen. Spätestens in Paris. Wie man ihm begegnen soll, wissen die Europäer nicht. Sie haben schon einmal darüber nachgedacht, kurz vor Ende der Konferenz. Es gab ratlose Gesichter. Sicher ist nur: Für das Jahr vor Paris wird in dieser Frage noch ein kräftiger Schub gebraucht.

Auf dem Hindernisparcours der peruanischen Armee draußen unter der gnadenlosen Tropensonne ist die letzte Hürde eine schiefe Ebene. Die Soldaten müssen eine steile Rampe hochstürmen und über eine Grube springen, das Ziel mit dem Schild „Llegada“ vor Augen. Wer zu wenig Schwung hat, stürzt ab.

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