Turnerin Pauline Schäfer bei der EM: „Ich bin wie gefangen“

Die Turnerin Pauline Schäfer über den Schwebebalken, ihre Chancen bei der EM in Rumänien und ihren Kampf gegen innere Widerstände.

Eine Frau, Pauline Schäfer, bei einer Turnfigur im Sprung

„Einfach weitermachen und so lange trainieren, bis es dann klappt“ – Pauline Schäfer Foto: Imago / Annegret Hilse

Ihr Spezialgerät ist der Schwebebalken. Pauline Schäfer hat an diesem Gerät schon eine WM-Bronzemedaille gewonnen und dabei ein Turnelement kreiert, das ihren Namen trägt – den Schäfersalto. Bei genau diesem Salto fiel sie nun in der Qualifikation während der EM im rumänischen Cluj-Napoca runter. Sie verpasste das Finale. Dafür steht die 20-jährige Obergefreite der Bundeswehrsportkompanie am Sonntag im Finale der besten acht im Bodenturnen.

taz.am wochenende: Frau Schäfer, Sie wollten unbedingt das Balkenfinale erreichen, jetzt ist es das am Boden geworden. Sind Sie trotzdem zufrieden?

Pauline Schäfer: Ich bin froh, dass ich das Bodenfinale erreicht habe. Das ist ein Trostpflaster, weil der Balken ja mein Paradegerät ist.

Gibt es einen Grund, warum ausgerechnet dieser von vielen ungeliebte schmale Balken Ihr liebstes Gerät ist?

Nein, eigentlich nicht, das hat sich im Laufe der Zeit so ergeben. Es liegt mir. Natürlich ist es ein sehr schwieriges Gerät, vergleichbar mit dem Reck bei den Männern, aber gerade das macht es für mich attraktiv. Es sind nur zehn Zentimeter – im Wortsinne ein schmaler Grat, auf dem ich mich bewege.

Jahrgang 1997, turnt seit 2002. Ihr eigenes Turnelement, der „Schäfer“, ist ein Seitwärts-Salto mit halber Drehung.

War der Schäfersalto – Ihr Salto seitwärts mit zusätzlicher halber Drehung – ein konkretes Projekt?

Nein, das war letztlich mehr ein Zufall, irgendwie kam die Idee aus einem Trainingslager in Kanada mit nach Deutschland. Und es hat recht lange gedauert, bis er dann geklappt hat.

Sie haben 2015 WM-Bronze gewonnen, die erste deutsche Balkenmedaille seit Jahrzehnten – damals ohne den Schäfersalto. Hier hat Ihnen ein Sturz beim Schäfersalto das Finale vermasselt. Wird Ihr eigenes Element zum Fluch?

Auf keinen Fall! Er ist extrem schwierig; wenn in Absprung oder Drehung nicht alles perfekt ist, dann ist nichts zu retten. Ich hätte übrigens damals nie gedacht, dass ich eine internationale Medaille gewinne. Warum, weiß ich gar nicht genau, aber seitdem bin ich auf jeden Fall motivierter.

Woher nehmen Sie generell Ihre Motivation?

Das ist eine gute Frage (lacht). Ganz am Anfang, da musste mich meine Mama ein bisschen zwingen. Sie hat gesagt: Wir machen das jetzt noch drei Wochen, und wenn du dann sagst, du hast keinen Bock mehr, dann lassen wir es. Aber nach den drei Wochen war ich so begeistert, dass ich nicht mehr loslassen konnte. Turnen ist so eine wahnsinnig tolle Sportart, ich bin da irgendwie wie gefangen. Ich hab ja mal ein Jahr lang aufgehört und es mit Stabhochsprung probiert. Aber das war viel zu einseitig, und Spaß hat es auch nicht gemacht.

Sie stammen aus einer Turnerfamilie?

Ich hab noch drei Brüder, die beiden älteren haben früher auch geturnt. Meine Mama war eher aus der Leichtathletik und ist auch mal Vizeeuropameisterin im Polizei-Fünfkampf geworden. Ja, wir sind schon eine recht sportliche Familie.

Sie trainieren rund 25 Stunden in der Woche, schränken sich in allen möglichen Lebensbereichen extrem ein, werden von einer breiten Öffentlichkeit aber kaum wahrgenommen. Für wen tun Sie das eigentlich alles?

Für mich! (lacht)

Nur für Sie?

In Frankreich wird gewählt. Für Europa geht es um viel. Die taz.am wochenende vom 22./23. April setzt auf europäische Freundschaft – und hat die KollegInnen der französischen Libération eingeladen, die Zeitung mitzugestalten. Außerdem: Smartphones im Unterricht? Da kriegen manche Lehrer Ausschlag. Aber ist es vielleicht trotzdem die Zukunft? Ein Gespräch mit Schauspieler Tom Schilling über Krawatten und Mitte-30-Sein. Und: Philipp Maußhardt vereint die englische und die spanische Küche. Am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.

Es spornt schon an; wenn viele Zuschauer da sind und gute Stimmung ist, dann macht der Wettkampf noch mehr Spaß. Nach den Spielen in Rio habe ich viel Feedback übers Internet bekommen, von Menschen, die sich vorher nicht so fürs Turnen interessiert haben und dann wirklich begeistert waren. Es ist schön zu sehen, dass junge Turnerinnen mir nacheifern. Da kommen manchmal ganz süße Nachrichten, zum Beispiel mit Fragen, worauf sie beim Flickflack achten sollen. Das ist auch eine Motivation für mich. Es gibt natürlich auch andere, von Männern, die manchmal auch anstößig sind oder einfach blöde. Die ignoriere ich einfach.

Turnen ist die klassische Randsportart, die nur alle vier Jahre bei Olympischen Spielen etwas mehr Aufmerksamkeit bekommt.

Das ist schade. Man hat es ja nach den Olympischen Spielen gemerkt, da haben sich viele Leute für uns interessiert. Turnen ist halt etwas schwieriger zu verstehen, Fußball ist nicht so schwierig. Ich finde das ungerecht. Man müsste sich mal Gedanken machen, wie man die Wettkämpfe im Turnen attraktiver gestalten kann, das ist ja teilweise schon etwas träge und vielleicht tatsächlich für den Zuschauer langweilig.

Sie suchen Sponsoren. War das erfolgreich?

Schwierig, da Turnen ja letztlich keine populäre Sportart ist. Die Sponsoren wollen gesehen werden. Aber die Turnwettkämpfe werden nur selten ausgestrahlt, die Reichweite ist nicht groß genug. Darum ist es ziemlich schwierig, sich da zu etablieren. Ich bekomme vom Autohaus Schloz Wöllenstein in Chemnitz ein Auto gestellt, muss nur mein Benzin bezahlen, das ist für mich schon enorm.

Sie sind 2013 vom Saarland nach Sachsen umgezogen, um besser trainieren zu können. Wie schwer fiel Ihnen die Entscheidung?

Das war sehr schwierig, weil ich mir geschworen hatte, nie von zu Hause wegzugehen. Aber die Förderung im Saarland war nicht so gut, Schule und Training waren schwierig zu kombinieren. Ich habe dann eine Woche zur Probe in Chemnitz gemacht, auch im Internat, das war schon ein Schock für mich. Nach der Woche habe ich gesagt: Auf keinen Fall, da gehe ich nicht hin! Obwohl mir das Training eigentlich ganz gut gefallen hat.

Woran lag es?

Die Internatszimmer waren damals ziemlich klein und alt, und ich war halt von zu Hause mein Zimmer gewohnt. Aber dann hat mir meine Mama gesagt, dass ich es irgendwann bereuen werde, wenn ich es nicht mache. Also habe ich mir ein Herz gefasst und es nicht ein Mal bereut. Das war die beste Entscheidung, die ich treffen konnte.

Ihre vier Jahre jüngere Schwester Helene, aktuell Deutsche Jugendmeisterin, trainiert mittlerweile auch in Chemnitz. Geben Sie da all Ihre Erfahrung weiter?

Es ist richtig schön, dass wir jetzt zusammen trainieren. Mein Bruder ist jetzt auch in Chemnitz, der studiert dort. So habe ich es geschafft, mir ein bisschen Familie herzuholen (lacht). Helene und ich sind zwei komplett verschiedene Typen, von daher kann ich – außer dem Aussehen vielleicht – keine wirklichen Gemeinsamkeiten feststellen. Den ein oder anderen Tipp gebe ich schon mal ab, bin aber eher für den Motivationspart zuständig und sie umgekehrt für mich auch.

Welches sind die härtesten Momente im Training?

Die, in denen es nicht läuft, in denen ich diesen inneren Schweinehund überwinden muss. Bei mir ist das eigentlich zu 90 Prozent der Trainingszeit so, dass ich mich einfach aufraffen muss und mir sagen: Hej, wofür machst du das noch mal? Du machst das nur für dich!

Und was hilft dann weiter?

Einfach weitermachen und so lange trainieren, bis es dann klappt.

Das Frauenturnen war über Jahrzehnte von kleinen Kinderkörpern geprägt, mittlerweile sind die Turnerinnen älter, größer und schwerer.

Ja, dieses etwas Bohnenstangenartige der Chinesinnen, das sieht man heute seltener. Für einen anderen Trend stehen die Amis, die muskulös aussehen und wo richtig Power dahinter ist. Grundsätzlich muss jede Turnerin mit ihrem eigenen Körper umgehen. Jeder Typ hat seine Vor- und Nachteile.

Das Körperideal einer Turnerin deckt sich nicht gerade mit dem Ideal eines Frauenkörpers. Sie sind Spitzenturnerin und eine 20-jährige Frau. Macht man sich da Gedanken?

Natürlich trainiere ich meinen Körper nicht darauf, auszusehen wie ein Model, sondern so, dass ich meine Leistungen bringen kann. Ich weiß, was ich zu tun habe, und da gehört Disziplin dazu. Wenn ich alles essen würde, worauf ich gerade Lust habe, dann würde ich nicht so aussehen.

Bereits in Rio de Janeiro ist Ihre Bodenübung sehr gut angekommen, jetzt stehen Sie im EM-Finale von Cluj. Haben Sie ein Gefühl dafür, wie die Übung auf das Publikum wirkt?

Zuletzt beim Weltcup in Stuttgart hatte ich während meiner eigenen Übung Gänsehaut. Das ist mir noch nie passiert. Ich habe ja eher eine emotionale, dramatische Musik, und da bin ich im Tunnel. Das war toll.

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